April 23, 2024

Die drohende Zerstörung der Naturlandschaft des Reinhardswaldes und der Oberweser durch Windkraft

von Hermann-Josef Rapp, Reinhardshagen

Vorbemerkungen zum Stand der Dinge im Sommer 2021

Die eingebetteten Fotos vermitteln Impressionen aus dem Reinhardswald mit dem Wesertal. Alle Fotos: Hermann-Josef Rapp, wenn nicht anders vermerkt

Windenergie in einem Waldgebiet der Sonderklasse?

Der Reinhardswald

Der Teilregionalplan Energie Nordhessen hat dem Reinhardswald eine besondere Bedeutung zugewiesen.

Insgesamt sind hier sieben Suchräume mit einer Gesamtfläche von 2.028 ha ausgewiesen. Geht man von einer Gesamtgröße dieses großen geschlossenen Waldgebietes von etwa 20.000 ha aus, sind das etwa zehn Prozent seiner Fläche. Kann man das verantworten?

Die Flächen sind ausschließlich Staatswald des Landes Hessen, der vom Forstamt Reinhardshagen verwaltet wird. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen derzeit zwei Gebiete. Diese Flächen liegen in einem gesamtökologischen Raum der Spitzenklasse. Gleichzeitig ist hier die landschaftszerstörerische Wirkung in alle vier Himmelsrichtungen katastrophal. Es liegt ein Antrag auf die Errichtung von jetzt 18 Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe von 241 Metern vor.

Um was geht es hier?

Die Antragsteller nutzen bei ihrer Argumentation zur Bagatellisierung der Eingriffe in Natur und Landschaft eine aus Sicht des Naturschutzes grauenvolle Situation aus den drei Kalamitätsjahren 2018, 2019 und 2020.

Zwei Stürme richteten hier Schäden in einem bisher nicht bekannten Ausmaß an. Darauf folgte ein Massenbefall mit rindenbrütenden Borkenkäfern. Und schließlich führte das Niederschlagsdefizit in Verbindung mit längeren Dürreperioden in diesen drei Jahren zu weiterem Holzanfall und neuen Schadflächen.

Insgesamt sind so eine Kalamitätsholzmenge von geschätzt 1.300.000 Festmetern (fm) und eine Gesamtschadfläche von 3.160 ha entstanden. Der Normaleinschlag des Forstamtes beträgt pro Jahr 140.000 fm. Besonders betroffen sind die Baumarten Fichte und Lärche.

Aus dieser Situation hat sich eine fatale Diskussion entwickelt.

Man argumentiert, dass auf diesen Flächen nicht mehr von Wald gesprochen werden kann. Man könne dort eigentlich keine weiteren Schäden mehr anrichten. Diese Auffassung ist falsch. Denn Wald bleibt Wald! Egal wie alt und in welchem Zustand, es gibt keine gesetzliche wie fachliche Festlegung, ab wann man von einem schlechten Wald reden kann, der nicht mehr seine Funktionen erfüllt.

Und die Entwicklung auf diesen Flächen bestätigt, dass dort die Sukzession in rasanter Weise dafür sorgt, dass die Naturverjüngung einer neuen Waldgeneration eingesetzt hat.

Dieser Wald braucht jetzt Zeit, um seine volle Leistungskraft wieder zu erlangen, Ruhe und sorgfältige Pflege. Jeder Eingriff durch den Bau von Windrädern ist unverzeihlich.

Eine weitere wesentliche Grundlage für das Genehmigungsverfahren der Windenergieanlagen ist entfallen:

Mehrere Gutachten der Antragsteller beschäftigen sich mit den ökologischen Gegebenheiten im und um den Suchraum herum.

Es geht um die Avifauna, die Fledermäuse, Amphibien, die Säuger von der Wildkatze bis zur Haselmaus, die Flora, das Landschaftsbild, insgesamt also um Lebensräume, Abundanzen und Interaktionen.

Diese Gutachten, die alle vor dem Eintritt der Schadereignisse erstellt wurden, sind nach den Ereignissen von 2018 bis 2020 völlig wertlos geworden. Die Lebensraumverhältnisse haben sich grundlegend verändert und werden in den nächsten Jahrzehnten zu einer ganz neuen Ökologie des Reinhardswaldes führen.

Nach wie vor gilt, dass der Komplex des Reinhardswaldes einen außergewöhnlich bedeutsamen Natur- und Landschaftsraum darstellt, der in seiner Gesamtwirkung durch ein oder mehrere Windenergiefelder hart getroffen und entwertet würde.

Die Unzerschnittenheit

Die Zerschneidung von Landschaften zählt zu den wichtigsten Ursachen für den starken Verlust an Arten und Lebensräumen.

Die unbelastete Großlandschaft des Wesertales und Reinhardswaldes. Foto: Rolf Schulzke

Große, unzerschnittene Naturräume werden in Deutschland immer seltener und damit kostbarer. Der Reinhardswald gehört dazu. Von gleicher Bedeutung ist die Tatsache, dass der vollständige Reinhardswald als „alter Wald“ oder „historisch alter Wald“ bezeichnet werden darf.

Die Archäologie

Auch hier nimmt der Reinhardswald eine besondere Stellung ein. Es heißt, „Der Reinhardswald ist nicht nur voller Bäume, er ist auch voller Archäologie.“ Die einzelnen Objekte erstrecken sich über große Teile des Waldes und sollten für tiefgreifende Baumaßnahmen tabu sein.

Es gilt, dass bisher kein Teilstück des Reinhardswaldes durch anthropogene Maßnahmen mit den Ansprüchen der Bodendenkmalspflege in Kollision geraten ist.

Die Baudenkmäler

Hier hat der Reinhardswald mit der Sababurg, dem Tierpark Sababurg und der Anlage Beberbeck wichtige Objekte von hessenweiter Bedeutung vorzuweisen. Die Siedlungsgeschichte der Region ist überall zum Anfassen gegenständlich erlebbar. Die Fachwerkkultur kennzeichnet die Städte und Dörfer. All das korrespondiert intensiv mit der Landschaftswirkung.

Die Summe dieser geschichtsträchtigen Einzelobjekte ist ein wesentlicher Baustein für den Leistungsgrad des Erholungs- und Erlebnisraums Reinhardswald, der seit 2017 auch unter dem Label „Naturpark Reinhardswald“ entwickelt und vermarktet wird (www.naturpark-reinhardswald.de). Windenergieanlagen wirken hier wertzerstörend.

Die Wirkung von 240 Meter hohen Anlagen auf die Sababurg. Realistische, maßstabsgetreue Visualisierung. Quelle: https://rettet-den-reinhardswald.de. Mit freundlicher Genehmigung

Die Landschaft

Der Wald selbst charakterisiert die räumliche Wirkung des Reinhardswaldkamms. Die bewaldeten Weserhänge und das Flusstal geben dem Abschnitt der Weser zwischen Hann. Münden und Bad Karlshafen einen Landschaftsstatus der Sonderklasse.

Keine Eisenbahn, keine Autobahn, keine Hochspannungsleitung greifen hier in die Landschaft ein.

Daraus ergeben sich messbare volkswirtschaftliche Effekte, die ein wichtiges Standbein nachhaltiger Wertschöpfung sind. Jeder Eingriff mit negativen Folgen richtet hier Schaden an. Batterien von Windrädern auf den Kammlagen hätten hier kaum abschätzbare Folgen.

Der Naturschutz

Insgesamt 7.445 ha des Waldgebietes sind als FFH-Gebiete, Naturwaldreservat mit Bannwald-Status, Naturschutzgebiete oder Naturwaldentwicklungsflächen (NWE) ausgewiesen. Das sind 37 Prozent des Reinhardswaldes. Ein großer Teil davon steht unter einem Nutzungsverzicht. Besonders erwähnenswert ist eine NWE-Fläche quer durch den Reinhardswald vom Waldrand an der Weser bis zum Forsthaus Mariendorf mit einer Größe von 1.295 ha.

Aushängeschild der ökologischen Qualität ist die Wildkatze.

Wildkatze, Waldkatze, Raubtier, Europäisch, Geschützt
Europäische Wildkatze. Foto: Marcel Langthim, Pixabay

Bei der Vogelwelt steht der Schwarzstorch an erster Stelle, der seit zwei Jahrzehnten mit inzwischen mehreren Paaren hier heimisch geworden ist.

Junger Schwarzstorch. Foto: Wolfgang Epple

Und in diesem Jahr hat im Reinhardswald als Erstbrutnachweis für Hessen ein Kranichpaar erfolgreich gebrütet.

Es gilt, dass der Reinhardswald auf Grund seiner vielfältigen Lebensräume und seiner geringen Beeinflussung durch Störelemente eine besondere Position aus Sicht des Naturschutzes einnimmt. Vergleichbare Naturräume gibt es in Hessen kaum noch. Deshalb ist jeder Eingriff durch den Bau von Windenergieanlagen abzulehnen.

Der Erlebniswert

Mit der Kennzeichnung als „Schatzhaus der europäischen Wälder“ wird der Zauber des Reinhardswaldes sehr gut beschrieben. Man kann unterstellen, dass es keinen Hektar dieses Waldgebietes gibt, der durch anthropogene Einflüsse in seinem Erholungs- und Erlebniswert vorgeschädigt ist.

Es gilt, dass der Reinhardswald insgesamt die Basis für einen natur- und erlebnisorientierten, wertschöpfenden Tourismus darstellt. Dies würde der Bau von Windenergieanlagen radikal einschränken.

Bilanz

Die Energiewende wird bis zum Erreichen der Ziele im Jahr 2050 massivste Eingriffe in die Natur und Landschaft verlangen und tiefgreifende Konsequenzen für die Menschen und unsere ökologischen Verhältnisse nach sich ziehen.

Deshalb sind umfassende Abwägungsprozesse erforderlich, in denen die einzelnen Güter sensibel miteinander aufgewogen werden.

Der Reinhardswald verfügt über so viel außerordentlich wichtiges ökologisches wie gesellschaftsbezogenes Potenzial, dass er in diesen Auseinandersetzungen geschont und von Windenergieanlagen frei bleiben muss.

* Der nun folgende Aufsatz von Hermman-Josef Rapp erschien mit gleichem Titel zuerst im Jahrbuch Naturschutz in Hessen Band 17/2018 und wurde vom dortigen Schriftleiter Dr. Marcus Schmidt für diese Homepage freigegeben. In dieser Publikation wird die Dringlichkeit und Gefahr der drohenden Entwertung des gesamten Naturraumes an der Oberweser und des Reinhardswaldes durch Windkraft deutlich:

Die Energiewende und ihre Folgen

Zerstörung der Naturlandschaft des Reinhardswaldes und der Oberweser*

Hermann-Josef Rapp

Einleitung

Die Notwendigkeit einer Energiewende steht außer Frage. Die Endlichkeit der Vorkommen der fossilen Energieträger ist bekannt. Ebenso ist die Entwicklung des weltweiten Energieverbrauchs mittelfristig abschätzbar. Und ebenso unstrittig ist ein gewaltiges Wachstum des strombasierten Energieverbrauchs unter dem Vorzeichen des Rückgangs der herkömmlichen Energiequellen für die Mobiltät und die Wärmegewinnung. Auf die Angabe von Quellen wird angesichts der breiten Darstellung in sämtlichen Medienbereichen verzichtet.

Die Nutzung neuer und möglichst regenerativer Energiequellen beschäftigt die Wissenschaft, wird von milliardenschweren staatlichen Fördermaßnahmen massiv unterstützt und von ebenso hohen Investitionen der Finanzwelt realisiert. Die physikalischen Grenzen der Energiespeicherung werden unter dem Begriff „Grundlastfähigkeit“ als bekannt vorausgesetzt. Diese Energiewende verändert unsere Landschaften wie keine andere infrastrukturelle Investition zuvor. 

Nicht alle Naturräume unseres Landes sind gleichermaßen betroffen und nicht überall ist die Landschaft als wertschöpfendes Element der Region von herausragender Bedeutung. Für den Reinhardswald kann man das aber durchaus konstatieren.

Die Situation im Reinhardswald

Die Diskussion über die Notwendigkeit und das Ausmaß der Energiewende wird auch hier seit Jahren unerbittlich geführt. Zwischen den Befürwortern und Skeptikern ist ein tiefer Graben entstanden. Die Energiefrage spaltet die Gesellschaft, der Riss verläuft durch Familien, Nachbar- und Dorfgemeinschaften, Belegschaften und Vereine. Man tauscht sich darüber kaum noch aus und vermeidet dieses Thema.

Abb. 1: Tal der Oberweser bei Reinhardshagen. Um diese Landschaft geht es. Foto: Archiv der Weserflößer e.V.

Der Naturraum Reinhardswald wird vom Wesertal im Osten und von den Tälern der Esse und der Diemel im Westen begrenzt. Kernstück ist der geschlossene Staatswaldkomplex von mehr als 20.000 ha Größe, der 1995 von Schweizer Schriftstellern als „Schatzhaus der europäischen Wälder“ (Eggmann und Steiner, 1995) bezeichnet wurde. Diese Wertung blieb bisher unwidersprochen und entwickelte sich zum Werbeslogan für die Region.

In unzähligen Rundfunk- und Fernsehbeiträgen, Zeitschriften- und Zeitungsbeiträgen, Reiseführern, Büchern und Internetauftritten werden die Attraktivität und die Einzigartigkeit des Reinhardswaldes weltweit beschrieben. Die hessische Staatskanzlei nutzt das Bild der Sababurg in ihrem Internetauftritt (www.staatskanzlei.hessen.de).   Im November 2017 nahm der neugegründete Naturpark Reinhardswald (www.reinhardswald.de/cms/startseite/) seine Arbeit auf. Damit erfüllte sich eine jahrelange Forderung engagierter Bürger und der Kommunalpolitik.

Ein wesentliches Landschaftselement ist das Tal der Oberweser, das zwischen Hann. Münden und Bad Karlshafen entlang von Reinhardswald, Bramwald und Solling unbelastet durch Autobahn, Bahnstrecken oder Hochspannungsleitungen zu den schönsten deutschen Flusslandschaften zählt. Zusammen mit dem Begriff der Märchenwelt der Brüder Grimm zählt diese hochwertige Landschaft zu den Fundamenten der regionalen Wirtschaftsentwicklung und ist ein wichtiger weicher Standortfaktor im Wettbewerb der Kommunen um die Sicherung ihrer Einwohnerzahlen. Der Umgang mit den Landschaftsressourcen im Rahmen der Energiewende hat deshalb hier eine besondere Bedeutung und wird in der Bevölkerung auch aufmerksam diskutiert. Es steht sehr viel auf dem Spiel. Bei der Standardfrage: „Wollt Ihr etwa Atomstrom?“ an die Kritiker von Windenergieanlagen gibt es eine Besonderheit. Bis 1994 war 4,6 km Luftlinie von der Nordspitze des Reinhardswaldes entfernt das Kernkraftwerk Würgassen in Betrieb (www.wikipedia.org/wiki/kernkraftwerk_würgassen).  Die Diskussion über diese Einrichtung ist vielen Bewohnern noch in lebhafter Erinnerung.

Wie ist es um die alternativen Energien in der Region bestellt?

Wasserkraft

Sie hat die größte Tradition um den Reinhardswald herum. Spielt aber trotzdem keine wesentliche Rolle. An der Diemel gibt es mehrere kleine Wasserkraftwerke. An der Unteren Fulda zwischen Kassel und Hann. Münden ist nur an der Staustufe Wahnhausen eine Anlage in Betrieb. Der Beitrag der Wasserkraft zur Energiewende ist in der Region marginal. Weitergehende Belastungen der Umwelt sind von ihr nicht zu erwarten.

Fotovoltaik

Fotovoltaikanlagen haben hier bisher eine untergeordnete Bedeutung. Es sind lediglich zwei größere Anlagen auf ehemals landwirtschaftlichen Flächen vorhanden. Die Potenziale auf Haus-, Logistik- und Industriedächern, auf kommunalen und landwirtschaftlichen Gebäuden sind nicht annähernd genutzt. Das lässt sich bei einer Betrachtung per GoogleEarth oder bei einer Besichtigungsreise der Städte und Gemeinden unzweifelhaft erkennen. Der Naturraum Reinhardswald wird bisher durch die Fotovoltaik nicht geschädigt und würde auch bei einem weiteren Ausbau kaum Schaden nehmen, wenn man auf Freiflächenanlagen verzichtet.

Biogas

Das sieht bei der Energiewinnung aus Biogasanlagen völlig anders aus. In den Tälern von Weser, Esse und Diemel sind mehrere Biogasanlagen in Betrieb und haben zu einer massiven Veränderung der Landnutzung geführt.

Abb. 2: Maisanbau im Landschaftsschutzgebiet in der Gemeinde Reinhardshagen. Foto: H.-J. Rapp

Die „Vermaisung“ der Landschaft ist unübersehbar, führt zu einer radikalen Veränderung des Landschaftsbildes und schränkt den Wert des Offenlandes als Erholungsraum für Wanderer und Radfahrer spürbar ein.

Die negativen Folgewirkungen des Maisanbaus für die empfindlichen Auenböden und für die ehemaligen Grünlandflächen an den geneigten Unterhängen sind allgemein bekannt. Die Verarmung von Flora und Fauna haben sich zu einem gesellschaftlichen Problem entwickelt. So hat sich in Hessen die Maisanbaufläche von 2010 bis 2017 um 29 % gesteigert (www.statistik.hessen.de). Im Wesertal ist davon weitgehend auch das Gebiet des Landschaftsschutzgebietes „Auenverbund Weser“ (www.rp-kassel.hessen.de) mit einer Größe von 1.100 ha betroffen.

Energieholz

Heizenergie aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz hat im ländlichen Raum seine uralte Bedeutung nicht verloren und hat bei der Wärmeversorgung zahlreicher Wohngebäude eine zentrale Funktion. Außerdem sind mehrere meistens kommunale Holzhackschnitzel-Heizanlagen um den Reinhardswald herum in Betrieb. Die Holzversorgung erfolgt weitgehend aus der Region. Konflikte mit dem Landschafts- oder dem Naturschutz gibt es bei dieser Energieform hier nicht.  Angebot und Nachfrage haben sich in der Region eingespielt. Eine weitere Steigerung der Energieholzliefermenge ist aber kaum möglich.

Energie aus Kurzumtriebsplantagen

Diese Form der Energiegewinnung hat im Wesertal bundesweit eine besondere Geschichte.

Sie begann im Jahr 1976 (Dr. Martin Hofmann, Hann. Münden, mündlich, 2018) in der damaligen Hessischen Forstlichen Versuchsanstalt in Hann. Münden in Zusammenarbeit mit dem früheren Forschungsinstitut für schnellwachsende Baumarten, das ebenfalls in Hann. Münden ansässig war. Im benachbarten Reinhardshagen wurden Versuchsflächen mit Pappeln und Weiden angelegt, um die Leistungsfähigkeit verschiedener Arten und Sorten zu testen. Nutzungs- und Umtriebszeitvarianten, Stecklingsdichte und die Art der Bodenvorbereitung wurden versuchsmäßig mit der Zielgröße Trockenmasseertrag pro Hektar untersucht. Die Tradition dieser Versuchsarbeit existiert noch heute. 

Abb. 3: Kurzumtrieb mit schnellwachsenden Baumarten. Versuchsanlage der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in der Gemarkung Reinhardshagen-Vaake. Foto: H.-J. Rapp.

Die Gesamtbilanz des Kurzumtriebs gegenüber dem Maisanbau spricht eine deutliche Sprache. Ein Gutachten der Wissenschaftlichen Beiräte für Agrarpolitik und für Waldpolitik beim BMEL beschreibt, dass die Stromproduktion pro Jahr und Hektar etwa gleich hoch wie die des Maisanbaus ist, die Treibhausgasemissionen aber um ein Vielfaches geringer sind (BMEL, 2016). Außerdem ist die Habitatqualität der Kurzumtriebsflächen höher als die des Maisanbaus, die Wirkung auf das Landschaftsbild wird eher akzeptiert und die Belastung durch die Bodenbearbeitung und den Dünger- und Pestizideintrag ist wesentlich günstiger. Angesichts dieser positiven Effekte ist es erstaunlich, dass der Anteil solcher Kurzumtriebsplantagen 2014 nur knapp 11.000 ha (BMEL, 2016) in Deutschland betrug. 

Windenergie

Die folgenschwersten Auswirkungen der Energiewende für den Naturraum gehen von den Windenergieanlagen aus.

Bei einer Wirkungshöhe von mehr als 200 m greifen sie erheblich in das Landschaftsbild ein, führen zu kaum messbaren Verlusten in der Vogelwelt und der Fledermausfauna und verlangen massive Eingriffe in den Boden. Zum Bau und zum weiteren Betrieb wird ein über den normalen Forststandard hinausgehendes Wegenetz benötigt. Der Wald wird zu einer Industrieanlage. Zusammen mit der jeweiligen Rodungsfläche für die Windräder wird die Struktur des Waldes fundamental gestört und gerät damit auf Kollisionskurs zu den klassischen Grundsätzen des nachhaltigen Waldbaus.  Das Thema soll in diesem Fall auf die Windenergieanlagen im Wald reduziert werden. Hier ist der Reinhardswald besonders betroffen.

Die Klimaziele der deutschen Politik auf Bundes- (www.umweltbundesamt.de) wie auf Landesebene (www.umwelt.hessen.de) werden als bekannt vorausgesetzt. Bei der Umstellung auf alternative Energiequellen bekommen Fotovoltaik und Windenergie eine hervorgehobene Rolle. Hessen hat sich zum Ziel gesetzt, 2 % der Landesfläche als Suchraum für Windenergieanlagen auszuweisen (www.umwelt.hessen.de) . Dabei werden die Waldflächen nicht ausgenommen. Lediglich der Nationalpark Kellerwald, der Bergpark Wilhelmshöhe und Teile des Biosphärenreservats Rhön werden laut Umweltbericht des Teilregionalplans Nordhessen geschont (www.rp-kassel.hessen.de).

Der Reinhardswald ist stark betroffen. Im Teilregionalplan sind hier 10 Vorranggebiete mit insgesamt 2.141 ha Größe ausgewiesen (www.rp-kassel.hessen.de). Das sind mehr als 10 % der Waldfläche. Verteilt über den gesamten Bereich aber konzentriert auf die angeblich besonders windhöffigen Hochlagen wird das gesamte landschaftliche Profil des Wesertals, der Fernblick von Westen und vom Süden auf den Reinhardswald sowie das Landschaftspanorama um die Sababurg negativ beeinflusst. Besonders betroffen ist das Dorf Gottsbüren, das von den Planungen förmlich umzingelt wird. Auf großes Unverständnis stößt auch der Suchraum KS 04c, der unmittelbar an der Nordgrenze des 2001 eröffneten Friedwaldes Reinhardswald liegt, der mit einer Größe von 116 ha der größte Friedhof Hessens ist und auf dem bisher etwa 6.500 Bestattungen (Forstamt Reinhardshagen, mündlich, 2018) vorgenommen worden sind. Hier kollidiert die Windenergie massiv mit dem Anspruch der Totenruhe.

Bei der Offenlegung der Planungen im Frühjahr 2013 sind rund 15.000 Stellungnahmen eingegangen, im Jahr 2015 waren es sogar 32.000 (www.rp-kassel.de) . Die Durchsetzung der Planungen wird dadurch erleichtert, dass praktisch die gesamte Suchraumfläche innerhalb des gemeindefreien Gutsbezirks Reinhardswald (www.hessen-forst.de) liegt, in dem es keine basisdemokratische kommunale Bürgermitwirkung gibt.

Die Stimmung in der Bevölkerung der Region schwankt zwischen Verzweifelung und Gleichgültigkeit. Es haben sich mehrere Bürgerinitiativen gebildet, die den windkraftkritischen Bürgern eine Plattform bieten und die Diskussion, über die Vertretbarkeit und das Ausmaß der Vorhaben führen. Die einflussreichen Naturschutzorganisationen BUND, NABU und HGON haben sich vor Ort nicht an den Diskussionen beteiligt, was zu Missstimmungen geführt hat. Lediglich die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e. V. (SDW) hat sich eindeutig gegen die Windkraft im Wald positioniert und im ersten Antragsverfahren Klage eingereicht.

Die Bürger vermissen auch Stellungnahmen der hier arbeitenden Tourismusverbände, der DEHOGA, des Regionalmanagements, der IHK und der Handwerkskammer, da mit den Windkraftplanungen ein ganz wesentliches Element der Regionalentwicklung und der wirtschaftlichen Perspektiven der Region fundamental geschädigt wird.

Aus Naturschutzsicht steht im Reinhardswald sehr viel auf dem Spiel. Die fast völlige Unzerschnittenheit des größten zusammenhängenden Waldgebietes Hessen, die Funktion als lärmfreier Raum, das hochwertige Landschaftsbild  und ein unbelasteter Erholungsraum würden hochgradig entwertet. Ein außergewöhnlich hochkarätiger Lebensraum mit einem schützenswerten Arteninventar würde in seiner Substanz getroffen. 

Wie geht es weiter?

Die Energiewende verändert unsere Umwelt und spaltet die Gesellschaft.

In Hessen werden die charakteristischen Mittelgebirgslandschaften besonders durch Windenergieanlagen radikal verändert.

Energiewende um jeden Preis darf es nicht geben. Solche Gedanken bei der Umsetzung politischer Ziele sind weder bei Straßen- oder Bahnstreckenplanungen verfolgt worden. Eine ähnliche Genese hat höchstens der Frankfurter Flughafen vorzuweisen.

Abwägungsprozesse sollten die Grundlage bilden und die Ziele  basisdemokratisch festgelegt werden.

Landschaftsräume der Sonderklasse müssen dabei zu Tabuzonen werden. Und der Reinhardswald gehört zu dieser Kategorie. Hier darf es keine Windenergieanlagen geben.

Diese Meinung findet in der Bevölkerung und Beobachtern der Entwicklung aus ganz Deutschland breite Unterstützung.

Literatur: 

Eggmann. V.; Steiner, B. (1995): Baumzeit. Zürich.

BMEL (2016): Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz und Wissenschaftlicher Beirat für Waldpolitik  beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft sowie den nachgelagerten Bereichen Ernährung und Holzverwendung. Gutachten November 2016. Berlin.    

Kontakt zum Autor:

Hermann-Josef Rapp; Leipziger Str. 15; 34359 Reinhardshagen; h-j.rapp@t-online.de

Soweit der aufrüttelnde Artikel von H.-J. Rapp aus 2018.

Abschließend:

Anmerkungen zur absoluten Dringlichkeit und zum überörtlichen Bezug des Anliegens

von Wolfgang Epple

Ich danke Hermman-Josef Rapp für seinen Beitrag aus 2018 und die einleitende Aktualisierung der Situation des Reinhardwaldes.

Beim Schutz solch herausragender Landschaften wird Ganzheitlichkeit des Naturschutzes, die den Menschen im Mittelpunkt und im Blick behält, greifbar:

Die landschaftlich einzigartigen und weitgehend naturnah gebliebenen Bereiche der Oberweser mit dem Reinhardswald und die wie eine Symbiose anmutende Bezogenheit der durch Fachwerk geprägten Dörfer und Städte in der Mitte Deutschlands zu „ihrer“ Landschaft sprechen unmittelbar zu uns – sie sprechen für den Zusammenklang aus Außen und Innen, die Einheit aus erforschbarer Vielseitigkeit der Natur und ihrer fühlbaren, emotional berührenden Schönheit. Natur und Kultur begegnet uns in Harmonie – ein weitgehend unversehrtes Kernland Mitteleuropas im besten Sinne.

Es sind diese letzten nicht nicht durch Siedlung, Industrie und Verkehr „verbrauchten“ Bereiche unseres Landes, die sich bei tieferer, auch fachlich fundierter Betrachtung und seelischer Erschließung ihrer rar gewordener Geschlossenheit und Ruhe als kaum bezifferbare Schätze erweisen. Es sind Rückzugsräume für Mensch und Natur, die wir auch im Sinne der Generationengerechtigkeit in unserem so dicht besiedelten Land in die Zukunft retten müssen.

Im Rahmen von Energiewende und einseitig auf Technik fixiertem „Klimaschutz“ werden wir Zeugen des Verlustes dieser Schätze. Aus aktuellem Anlass der Invasion der Windkraft in die Wälder habe ich deshalb im August 2021 eine Seite zur Auslieferung der Staatswälder an die Windkraftindustrie auf dieser Homepage publiziert.

Dort ist der Reinhardswald als herausragendes Beispiel der beklemmenden Entwicklung aufgeführt, mit Hinweis auf die (politisch) Verantwortlichen.

Den fundierten, über alle politischen Grenzen hinweg im besten Sinne staatsbürgerlich verankerten Widerstand gegen die Zerstörung des Reinhardswaldes durch die Windkraftindustrie finden Naturfreunde hier:

Windpark Reinhardswald – Dagegen!

Rettet-den Reinhardswald!

Im Rahmen dieses Widerstandes hat Hermann-Josef Rapp einen weiteren Blog-Beitrag verfasst, den ich nur empfehlen kann: Irrglaube zum Thema Fichte, Windwurf und Borkenkäfer. Für Interessierte sei besonders die dortige Link-Liste empfohlen. Meine Leser bitte ich, diesen Widerstand durch Mitzeichnen von Petitionen und/oder Spenden zu unterstützen! Hier geht es zu einer wichtigen Petition.

Der Reinhardswald wird unter Grimm Heimat Nordhessen in der Homepage des Naturparks Reinhardswald touristisch beworben. Kein Wort zu den Windkraftplänen, auch dann nicht, wenn man auf dieser Homepage des Naturparkes Windkraft als Suchbegriff eingibt. Wie für andere mit „Naturpark“ etikettierte Großlandschaften Deutschlands droht der Begriff „Naturpark“ im Zeichen der Energiewende ein mehr oder weniger wertloser Aufkleber zu werden.

Ästhetisch und ökologisch höchst wertvoll: Wald-Offenland-Mosaik im Reinhardswald. Foto: Rolf Schulzke

Ich schließe mich dem Fazit Hermann-Josef Rapps in seinen Vorbemerkungen an, und will diese Bilanz noch einmal in aller Dringlichkeit Wort für Wort wiederholen:

Der Reinhardswald verfügt über so viel außerordentlich wichtiges ökologisches wie gesellschaftsbezogenes Potenzial, dass er in diesen Auseinandersetzungen geschont und von Windenergieanlagen frei bleiben muss.

Mehr noch:

Der Reinhardswald steht stellvertretend für die Problematik der politisch initiierten Auslieferung der Staatswälder an die Windkraftindustrie. Von Seite und aus Sicht eines ganzheitlichen Naturschutzes kann nur noch einmal dringend an alle Verantwortlichen appelliert werden, die dem „Klimaschutz“ und dem Erhalt der Lebensgrundlagen abträgliche Schädigung der Wälder durch Windkraftindustrie endlich im Sinne einer umfassenden, den Werten unseres Rechtsstaates und seiner Verfassung genügenden Güterabwägung in ganz Deutschland zu beenden. Der Windkraftindustrie, die Naturschutz, Klima- und Weltrettung für sich in Anspruch nimmt, stünde es gut zu Gesicht, auf die Zerstörung wertvoller Natur freiwillig zu verzichten. Im Reinhardswald, in Deutschland, in Europa, weltweit.