November 21, 2024

Naturschutz und Wasserkraft

Was bedeutet eigentlich „Nachhaltigkeit“ im Zeichen von Energiehunger und Hype um „Erneuerbare Energien“?

publiziert 2020

Zerstörung einzigartiger Fluss-Natur durch ein Wasserkraftwerk; an der Langarica, einem Zufluss der Vjosa*, Albanien. Foto: Cornelia Wieser, Riverwatch
Europas Flüsse sind verdammt! Die Karte zeigt bestehende und geplante Wasserkraftwerke auf dem Kontinent. Einer der geografischen Schwerpunkte: der Balkan © FLUVIUS, im Auftrag von WWF, Riverwatch, EuroNatur, GEOTA
Quelle der Karte https://balkanrivers.net/de/aktuell/europas-flüsse-sind-verdammt-über-8700-neue-wasserkraftwerke-geplant

Wir stehen vor dem Ende frei fließender Flüsse in Europa und vor einem Kollaps der Artenvielfalt, wenn wir diesen Wasserkraftwahn nicht aufhalten. Die EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen sowie die Regierungen der Länder müssen diesen Ausbau stoppen. Sie müssen vor allem die Subventionen für Wasserkraft beenden und den Schutz der Flüsse verbessern. Es ist völlig inakzeptabel, dass wir mit unserer Stromrechnung Wasserkraftinvestoren finanzieren und damit die Zerstörung von Europas Lebensadern bezahlen“, sagt Ulrich Eichelmann von Riverwatch.*

Ich möchte ergänzen, wir stehen am Ende frei fließender Flüsse weltweit, wenn Energiehunger der Menschheit und einseitig naiver Blick auf sogenannte „Nachhaltigkeit“ von Wasserkraft nicht korrigiert werden. Die Initiative *Riverwatch hat das große Verdienst, auf einen atemberaubenden Niedergang und brachiale Zerstörung der Natur im Zusammenhang mit dem Aufstau von Flüssen und Bächen für die Energiegewinnung aufmerksam zu machen.

Riverwatch wörtlich:

„Seit 2012 bemühen wir uns Europas letzten freifließenden Flussjuwelen – die Balkanflüsse – vor einer regelrechten Staudammflut zu schützen. Ca. 2700 Staudämme sind zwischen Slowenien und Griechenland geplant und bedrohen so gut wie jeden Fluss und Bach. In Kooperation mit der deutschen Umweltstiftung EuroNatur und lokalen Partnern in den Balkanländern leiten wir die „Rettet das blaue Herz Europas“ Kampagne um diese Zerstörungswelle zu verhindern.“

Deshalb: Hier geht’s zur Unterstützung für Riverwatch

Bedrohung der Balkanflüsse – Mahnung und Menetekel für ganz Europa

Die *Vjosa (griechisch Aoos), die im Pindos-Gebirge in Griechenland entspringt, und in Albanien in die Adria mündet, ist einer der letzten großen freifließenden Balkanflüsse. Sie ist zum Symbol für den Kampf um die freien Fließgewässer (nicht nur) des Balkans und Europas geworden :

Die Vjosa in Albanien. Foto: Gernot Kunz

Was in den „Schluchten des Balkan“ noch keine Seltenheit ist, gehört in den Alpen schon zur Rarität:

Fluss Tagliamento, Cimano, Wasser, Stein, Landschaft
Aus den Südalpen heraus fließt der Tagliamento, einer der letzten ungezähmten Flüsse der Alpen. Auch wenn dieses einzigartig noch erhaltene Flußökosystem nicht durch Wasserkraft beeinträchtigt ist, wird es doch durch Baumaßnahmen, die der Hochwasser-Rückhaltung dienen sollen, bedroht. Foto: Pixabay
Tiroler Lechtal, Österreich, Tirol, Lech, Fluss
In den Nordalpen ist einzig der Lech in Teilen noch sehr naturnah. Insbesondere das Tiroler Lechtal (teilweise Naturpark) im Bereich Stanzach , Forchach und nördlich von Weißenbach bietet noch Eindrücke der ursprünglichen Ungezähmtheit der Alpenflüsse. Foto: Simon, Pixabay.

Zur Bedrohung der Fischfauna durch den Boom der Wasserkraft im gesamten Mediterraneum gibt es eine neue, brandaktuelle und alarmierende Studie aus dem Jahr 2020.

Der Umgang mit den letzten freifließenden Flüssen und Bächen wird zur Nagelprobe, ob ein sorgfältiger und vorbeugend schützender Umgang mit dem Biodiversitäts-Hotspot des Mittelmeerraumes im Sinne eines ganzheitlichen Naturschutzes gelingt. Leider scheinen die brennenden Naturschutzprobleme rund um die Wasserkraft – nicht nur im Mittelmeerraum – nicht auf der Agenda der aktuellen deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu stehen.

Wasserkraft – weltweite Bedrohung der Natur

Vom Himalaya bis in den Kaukasus*, (siehe Beispiel Georgien, unten) vom seit Jahren mit Staudammprojekten malträtierten Mekong (dem nun endlich auch „Spektrum.de“ einen alarmierenden Artikel gewidmet hat), zum Amazonasbecken, vom Balkan über die Türkei, von Tibet bis nach Brasilien: Weltweit sind über 850.000 (in Worten: Achthunderfünfzigtausend!) Staudamm-Projekte verwirklicht, in Planung oder Bau…darunter mehrere tausend sogenannte Mega-Projekte…Wer erinnert nicht die Diskussion um den „Drei-Schluchten-Staudamm“ in der VR China…

Heute tragen laut Weltbank-Studie erneuerbare Energien bereits etwa 20 Prozent zur globalen Stromproduktion bei, davon stammen allein 80 Prozent aus Wasserkraft. Tendenz steigend. Laut einer Studie des Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) von 2015 befinden sich weltweit etwa 3700 große Staudämme, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern, im Bau oder in Planung. Mit oft dramatischen Auswirkungen auf die Umwelt. In Europa boomt der Ausbau von Kleinkraftanlagen. Quelle: PM des Leibniz-Institutes für Gewässerökologie und Binnenfischerei vom 12.03.2018 zum internationalen Aktionstag gegen Staudämme a, 14. März 2019 

China, Yangtze, Stausee, Boote
„Idylle“ am Jangtsekiang, VR China. Foto. Pixabay. Der „Drei-Schluchten-Staudamm“ am Jangtse ist heute das stärkste Wasserkraftwerk der Erde. Weltweit ob der Ingenieur-Baukunst bestaunte und bejubelte Staudammprojekte bedeuten immer und überall in unterschiedlicher Auswirkung brachiale Gewalt gegen die Natur, Zwangs-Umsiedlung und Heimatverlust für Menschen, Untergang und Vernichtung unzähliger Lebensräume für Wildtiere und Wildpflanzen und der Individuen selbst, und nicht selten enorme Folgeprobleme wie Versandung, Verschlickung und Änderungen des Mikroklimas.
Die Befürworter des gigantischen Projektes am Jangtse argumentierten und argumentieren bis heute neben der Energiegewinnung auch mit dem Hochwasserschutz, weil vor Inbetriebnahme Millionen Menschen in den Fluten des Jangtse ertrunken waren…Die Ursachen für verheerende Hochwasser am Jangtse aber wurden – wie in anderen Gegenden der Welt, wenn Staudamm-Gigantomanie gerechtfertigt wird – zu wenig und nicht ehrlich genug thematisiert. Zu den bereits eingetretenen ökologischen Schäden und zu Folgen der Zwangs-Umsiedlungen siehe hier.
Staudamm, Eisernes Tor, Donau, Djerdap1, Rumänien
Das Kraftwerk „Eisernes Tor“ an der Donau; Grenze zwischen Rumänien und Serbien. Foto: Pixabay. Symbol der Ingenieur-Baukunst. Auch Symbol der vollständigen naturfernen Vergewaltigung und „nachhaltigen“ Veränderung eines großen europäischen Stromes. Kaum zu überwindendes Hindernis für wandernde Fische, darunter der Stör. Der Wasserspiegel wurde um zig Meter angehoben

*Das Beispiel Georgien: Eine typische Jubelmeldung zum „grünen “ erneuerbaren Strom aus Wasserkraft:

(…) Das kleine Land im Kaukasus setzt voll auf grüne Energie. Schon jetzt bezieht das Land zwischen 80 und 90 Prozent des Stroms aus grünen Energie­quellen, davon mehr als 50 Prozent aus großen Wasser­kraftwerken. Langfristig sollen die Erneuer­baren Energiequellen den gesamten Elektrizitäts­bedarf decken. Zudem soll Strom zu einem der wichtigsten Exportgüter werden.(…)Insbesondere Wasser spielt bei den Erneuerbaren Energien in Georgien eine bedeutende Rolle, denn das Land gehört zu den fünf wasserreichsten Staaten der Welt. Auf eine Landesfläche von 70.000 Quadrat­kilometern verteilt fließen 26.000 Flüsse. 300 davon verfügen über sehr großes Wasser­kraft­potenzial und sind für die Nutzung der Wasserkraft prädestiniert. (…)“ (Urheber des Textes: Rödl & Partner GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft, 2017)

Insider und Naturschutz-Realisten wissen, welch ein Damokles-Schwert über den Flüssen des Kaukasus angesichts solcher geschäftstüchtiger Witterung von Bauprojekten schwebt. Es ist das selbe Bedrohungspotenzial durch Wasserkraft wie für die Flüsse des Balkans, Skandinaviens, Südfrankreichs, Portugals oder Schottlands…

Deutschland (siehe Karte oben), inzwischen das gelobte Land „grüner“ Erneuerbarer Energien, hat übrigens in Europa nach wie vor die höchste Wasserkraft-Ausbaudichte.

Einen Überblick über die weltweit zusätzlich zur Beeinträchtigung der Biodiversität freier Fließgewässer bestehende Problematik der letztlich nicht nachhaltigen Wasserkraft im Hinblick auf funktionale Langlebigkeit und die unterschätzten Versandungsprobleme großer Staudamm- und Stausee-Projekte liefert ein sehr lesenswerter Artikel von Tobias Landwehr in „Spektrum.de“ vom 11.01.2022 mit dem Titel „Das Sterben der Stauseen“. Anzumerken ist, dass es den dort zitierten Autoren weniger um die Problematik der Bedrohung der Biodiversität durch Wasserkraft als um die „Optimierung“ von Staudamm-Projekten geht. Dennoch sei dieser Blick auf die immensen Probleme der Wasserkraft als Argumentationshilfe empfohlen.

All diese Information für jene, die Wasserkraft pauschal als „naturverträglich“ bejubeln und nach dem Ausbau der letzten Flüsse und Bäche im Zeichen von „Nachhaltigkeit“ und „Erneuerbarer Energien“ rufen…Es besteht eine beklemmende Parallele zur naiven und beschönigenden Argumentation zum angeblich „naturverträglichen“ Ausbau der Windkraft.

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