März 19, 2024

Klimaneutralität bis 2035? – Die Einordnung eines „Diskussionsbeitrags des Wuppertal-Institutes für Fridays for Future Deutschland“

Foto: Eilert Voß. Windkraftindustrialisierung in Ostfriesland, Wybelsum, Mai 2020.

14. Oktober 2020

Dr. Wolfgang Epple

„Chapeau“?

Ich erhalte auf dem Weg des täglichen E-Mail-Briefings „Der Tagesspiegel Background Energie & Klima“ am 14. Oktober folgenden Claquen-Hinweis:

…ein „Chapeau!“ an Fridays for Future: Als politische Kraft haben sie gestern gezeigt, dass sie die Spielregeln bestens beherrschen. Die Studie, nach der Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden müsse und könne, gelangte vorab nicht an die Presse. Und mit dem Wuppertal Institutfür die Berechnungen und der GLS Bank als Sponsor wurden gut beleumundete Partner gefunden. Das Timing? Knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl auch ziemlich ideal…

So viel Lobhudelei macht neugierig. Und der Vorgang macht eine Einordnung notwendig.

Gutes Timing? Gutes Timing!

Denn der Vorstoß von Fridays for Future hat in der Tat gutes „Timing“: Er kommt genau in der Zeit, in der die Bundesregierung das Schicksal des Landes in Sachen Energie und Kollateralschäden der Energiewende wohl endgültig mit der Brechstange besiegelt. Doch der Reihe nach:

Seit dem sogenannten Windkraftgipfel am 05. September 2019 beim Bundeswirtschaftsminister hat die derzeit amtierende Bundesregierung unter der Verantwortung der Klimakanzlerin eine Kaskade von weitreichenden Aktivitäten entwickelt, deren Ergebnis die Abschaffung von Natur- und Landschaftsschutz und die massive Einschränkung von Bürgerrechten sein wird, wenn es um den Ausbau der „Erneuerbaren Energien“ geht. Eine Chronologie – auch mit Hinweisen zum Naturschutz-schädlichen Verhalten der etablierten Umweltverbände ist im Heft 03/2020 des NaturschutzMagazins der Naturschutzinitiative e.V. veröffentlicht. Im zugehörigen Literaturverzeichnis zur Chronologie sind einige Eckpunkte des regierungsamtlich eingeleiteten Durchmarsches speziell der Windkraft verlinkt.

Vollendet und durchgeführt werden wird der Angriff auf Natur, Landschaft und Bürgerrechte durch das geplante Investitionsbeschleunigungsgesetz und die bereits im Kabinett verabschiedete Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG).

Hindernisbeseitigung für den Durchmarsch der Windkraft

Letztlich alle noch bestehenden Hindernisse, die das geltende Recht trotz bereits umfangreicher Privilegierung der Erneuerbaren Energien im Rahmen der rechtsstaatlich vorgesehenen Güterabwägung bei widerstreitenden Sachverhalten noch vorsieht, insbesondere die Hindernisse rund um den EU-rechtlich vorgegebenen Artenschutz, sollen eingerissen werden.

Während die Windkraft-Lobby erkennbar monatelang Einfluss auf die Gesetzesvorlagen hatte, waren die Anhörungsfristen für den Naturschutz mit jeweils nur wenigen Tagen und im Schatten der Corona-Krise skandalös knapp. Die Öffentlichkeit sollte offensichtlich möglichst nichts von den weitreichenden Änderungen an den Stellschrauben des Rechtes erfahren. Und die in Sachen Energiewende weitgehend unkritisch regierungstreuen Medien berichten so gut wie nicht.

In diesem Kontext muss der Vorstoß von „Fridays for Future“ verortet werden.

Öffentliches Interesse, öffentliche Sicherheit?…

Nicht zufällig hatte auch Greenpeace zur rechten Zeit mit einem „Rechtsgutachten“ (ein „Thesenpapier“ , das auf eine Lex Windkraft hinausläuft mit allem, was zur endgültigen Befreiung des Ausbaus der Windkraft von den Fesseln sorgfältiger Güterabwägung gehört) Druck gemacht. Die Stoßrichtung: Der Ausbau der Windkraft soll „öffentliches Interesse“ werden und im Rahmen der Versorgungssicherheit der „öffentlichen Sicherheit“ dienen. Damit wären mehrere für die Windkraftinteressen lästige Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Insbesondere aber droht die Aushebelung des Artenschutzes. Der Ausnahmetatbestand „zwingendes öffentliches Interesse“ findet sich allerdings nicht in den abschließend aufgezählten Ausnahme-Tatbeständen der Vogelschutzrichtlinie, wie ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Gellermann für die Naturschutzinitiative e.V. eindeutig feststellt.

Die Bundesregierung aber will mit Investitionsbeschleunigungsgesetz und EEG-Novelle und einer „Harmonisierung“ des EU-Artenschutzrechtes im Rahmen der Ratsmitgliedschaft nun als Erfüllungsgehilfe der Windkraftindustrie endlich Nägel mit Köpfen machen. Dies alles unter dem Signum des „Klimaschutzes“ und der Erreichung der Verpflichtungen aus dem „Klimaschutz“ nach dem Pariser Abkommen.

…die Bundesregierung auf Windkraft-Erfüllungsgehilfen-Kurs…

Wie sehr die Bundesregierung im Sinne der Windkraftlobby agiert, zeigen die Formulierungen in der EEG-Novelle; der Sprengsatz wird in den Änderungen des § 1 EEG gezündet. Wörtlich (kursiv und fett hervorgehoben, die Ziffer 5):

  1. § 1 Absatz 2 und 3 wird durch folgende Absätze 2 bis 5 ersetzt:„(2) Ziel dieses Gesetzes ist es, den Anteil des aus erneuerbaren Energien er- zeugten Stroms am Bruttostromverbrauch auf 65 Prozent im Jahr 2030 zu steigern.(3) Ziel dieses Gesetzes ist es ferner, dass vor dem Jahr 2050 der gesamte Strom, der im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (Bundesgebiet) erzeugt oder verbraucht wird, treibhausgasneutral erzeugt wird.(4) Der für die Erreichung der Ziele nach den Absätzen 2 und 3 erforderliche Ausbau der erneuerbaren Energien soll stetig, kosteneffizient und netzverträglich er- folgen.(5) Die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien liegt im öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit. 

Hier schließt sich der Kreis zu den Forderungen von Greenpeace und zu den noch weit über die Ziele der Regierung hinaus gehenden angeblich wissenschaftlich zwingenden Diskussionsbeiträgen des Wuppertal-Institutes für Fridays for Future.

Der berühmte blinde Fleck und einschlägige Allianzen

An dieser Studie hat offensichtlich kein ausgewiesener Naturschutz-Fachmann oder entsprechend einschlägiger Jurist maßgeblich oder auch nur beratend teilgenommen. Entsprechend blind für die rechtlichen Zusammenhänge und die einschneidenden Naturschutz-Folgen sind die äußerst weitreichenden Forderungen. Akzeptanzprobleme und Probleme für den Artenschutz – von denen man wohl gehört hat – sind auf wenige kümmerliche Aussagen reduziert. Es sind Aussagen, die man von den Akteuren und Profiteuren der Windkraft schon x-mal gehört hat. Sie sollen hier wiedergegeben werden; S.15 des „Gutachtens“:

…Die notwendige starke Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien erfordert neue energiepolitische Maßnahmen, vor allem im Bereich der Windenergie. Eine Belebung des Ausbaus der Onshore-Windenergie wird nur über ein Bündel an Maßnahmen erreicht werden können, zu der eine stärkere Beteiligung der Anwohnerinnen und Anwohner sowie der Kommunen am Betrieb von Windenergieanlagen bzw. an den von diesen generierten Einnahmen gehört. Hinzu kommen muss eine stärkere und beschleunigte Abstimmung zwischen Vogel- und Landschaftsschutz auf der einen und Klimaschutz auf der anderen Seite sowie die Bildung entsprechender Allianzen…

Nun – die Allianzen sind längst gefunden. Zu ihnen gehören gerade jene etablierten Umweltverbände, deren windkraftaffine Forderungen schon im Januar 2020 eindeutig waren. Zu den Allianzen müssen auch die Medien gezählt werden, die den ausgreifenden finalen Konflikt nicht sehen oder die dessen Konsequenzen nicht berichten wollen. Die Auslassung von Zusammenhängen, Schieflage der Darstellung, Tendenz von Aussagen und fachlich dürftige Darstellung des Konfliktes speziell um Artenschutz und Windkraft reicht inzwischen hinein bis in vermeintlich „wissenschaftliche“ Aufarbeitungen, etwa in „Spektrum der Wissenschaft“( „Storks Spezialfutter“ vom 11.09.2020).

Wohin die Reise im Energiesystem gehen soll nach den „Diskussionsbeiträgen“ des Wuppertal-Institutes, überrascht nicht weiter; Zitate, immer noch S. 15 des „Gutachtens“:

…In einem klimaneutralen Energiesystem ist mit einem Bedarf an Wasserstoff und gasförmigen sowie flüssigen synthetischen Energieträgern in einer Größenordnung von etwa 400 bis 900 TWh pro Jahr zu rechnen, nur im Falle weit- gehender Lebensstiländerungen könnte der Bedarf niedriger liegen. Die Nachfrage nach Wasserstoff und synthetischen Energieträgern in einem klimaneutralen Energiesystem könnte vorliegenden Szenarien zufolge zwischen 25 und 55 Prozent des zukünftigen gesamten Endenergiebedarfs entsprechen und damit etwa dem 8- bis 18-fachen der heutigen (primär auf der klimaschädlichen Reformierung von Erdgas basierenden) Erzeugung von Wasserstoff. (…) Zumindest ein Teil dieses Bedarfs kann und sollte über eine inländische Erzeugung von Wasserstoff mittels Elektrolyseuren gedeckt werden. Importe sind auf Dauer nur aus Ländern ökologisch sinnvoll, die bereits eine vollständige eigene Bedarfsdeckung mit erneuerbaren Energien erreicht haben und die Wasserstoff be- reitstellen können, der aus erneuerbaren Energiequellen stammt…

Bemerkenswert ist immerhin das Einräumen von Importabhängigkeit in einem solchen „klimaneutralen Energiesystem“, wie das auch die Bundesregierung in ihrer „Nationalen Wasserstoffstrategie“ tut. Welche Länder in welcher Nachbarschaft allerdings in absehbarer Zeit eine vollständige eigene Bedarfsdeckung mit erneuerbaren Energien erreicht haben sollen, und auf welchem Wege, bleibt Geheimnis des Wuppertal-Institutes. Ebenso bleibt Geheimnis, wie man sich die Behebung der kolossalen Begleitschäden an Natur und Landschaft und den Umgang mit der in ihrer „Akzeptanz (finanziell) geförderten“ Bevölkerung vorstellt, wenn die Ausmaße der Vervielfachung der Windkraft alleine an Land vollends erkennbar werden und durchschlagen und der Widerstand gegen die endgültige Verschandelung von Landschaft und Vernichtung von wertvollen Lebernsräumen trotz weiter angezogener Daumenschrauben weiter wächst.

Chapeau? Verfrüht!

Fazit: Der „Chapeau“ des Tagesspiegels ist wohl verfrüht. Es könnte sein, dass mit dem sich letztlich nur sich selbstbeglaubigenden, als Beitrag zur Weltrettung verkauften beschleunigten Ausbau einer in unvorstellbaren Ausmaßen naturfressenden Industrie und mit dem einhergehenden Marsch Deutschlands in den totalen Klima-Staat die Rechnung ohne diejenigen gemacht wird, die bei diesem Marsch auf der Strecke bleiben: Es sind die Menschen, die das Umbauvorhaben, das auf Kosten von Gesundheit und Heimat geht, bezahlen sollen und werden.

Auf die Menschen der ländlichen Räume aber wird Rücksicht nehmen müssen, wer von Akzeptanz für seine Utopie träumt.

Auf die Natur wird Rücksicht nehmen müssen, wer in seinem Anspruch, ein Teil zur Rettung des Planeten beizutragen, ernst genommen werden will und dazu glaubwürdig bleiben will.

Fridays for Future jedenfalls kann mit diesem neuerlichen Vorstoß – nun angeblich mit „der Wissenschaft“ (welcher?) im Rücken – keinen Beitrag leisten zur Versöhnung von Weg und Ziel. Im Gegenteil: Wer in Sachen Erneuerbare Energien so wenig den Blick auf die Folgen der eigenen Forderungen für Natur und Menschen lenken kann, trägt zum endgültig durch diese Energiewende drohenden Bruch in der Gesellschaft bei.