Was bedeutet eigentlich „Nachhaltigkeit“ im Zeichen von Energiehunger und Hype um „Erneuerbare Energien“?
publiziert 2020
Ich möchte ergänzen, wir stehen am Ende frei fließender Flüsse weltweit, wenn Energiehunger der Menschheit und einseitig naiver Blick auf sogenannte „Nachhaltigkeit“ von Wasserkraft nicht korrigiert werden. Die Initiative *Riverwatch hat das große Verdienst, auf einen atemberaubenden Niedergang und brachiale Zerstörung der Natur im Zusammenhang mit dem Aufstau von Flüssen und Bächen für die Energiegewinnung aufmerksam zu machen.
Riverwatch wörtlich:
„Seit 2012 bemühen wir uns Europas letzten freifließenden Flussjuwelen – die Balkanflüsse – vor einer regelrechten Staudammflut zu schützen. Ca. 2700 Staudämme sind zwischen Slowenien und Griechenland geplant und bedrohen so gut wie jeden Fluss und Bach. In Kooperation mit der deutschen Umweltstiftung EuroNatur und lokalen Partnern in den Balkanländern leiten wir die „Rettet das blaue Herz Europas“ Kampagne um diese Zerstörungswelle zu verhindern.“
Deshalb: Hier geht’s zur Unterstützung für Riverwatch
Bedrohung der Balkanflüsse – Mahnung und Menetekel für ganz Europa
Die *Vjosa (griechisch Aoos), die im Pindos-Gebirge in Griechenland entspringt, und in Albanien in die Adria mündet, ist einer der letzten großen freifließenden Balkanflüsse. Sie ist zum Symbol für den Kampf um die freien Fließgewässer (nicht nur) des Balkans und Europas geworden :
Was in den „Schluchten des Balkan“ noch keine Seltenheit ist, gehört in den Alpen schon zur Rarität:
Der Umgang mit den letzten freifließenden Flüssen und Bächen wird zur Nagelprobe, ob ein sorgfältiger und vorbeugend schützender Umgang mit dem Biodiversitäts-Hotspot des Mittelmeerraumes im Sinne eines ganzheitlichen Naturschutzes gelingt. Leider scheinen die brennenden Naturschutzprobleme rund um die Wasserkraft – nicht nur im Mittelmeerraum – nicht auf der Agenda der aktuellen deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu stehen.
Wasserkraft – weltweite Bedrohung der Natur
Vom Himalaya bis in den Kaukasus*, (siehe Beispiel Georgien, unten) vom seit Jahren mit Staudammprojekten malträtierten Mekong (dem nun endlich auch „Spektrum.de“ einen alarmierenden Artikel gewidmet hat), zum Amazonasbecken, vom Balkan über die Türkei, von Tibet bis nach Brasilien: Weltweit sind über 850.000 (in Worten: Achthunderfünfzigtausend!) Staudamm-Projekte verwirklicht, in Planung oder Bau…darunter mehrere tausend sogenannte Mega-Projekte…Wer erinnert nicht die Diskussion um den „Drei-Schluchten-Staudamm“ in der VR China…
Heute tragen laut Weltbank-Studie erneuerbare Energien bereits etwa 20 Prozent zur globalen Stromproduktion bei, davon stammen allein 80 Prozent aus Wasserkraft. Tendenz steigend. Laut einer Studie des Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) von 2015 befinden sich weltweit etwa 3700 große Staudämme, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern, im Bau oder in Planung. Mit oft dramatischen Auswirkungen auf die Umwelt. In Europa boomt der Ausbau von Kleinkraftanlagen. Quelle: PM des Leibniz-Institutes für Gewässerökologie und Binnenfischerei vom 12.03.2018 zum internationalen Aktionstag gegen Staudämme a, 14. März 2019
*Das Beispiel Georgien: Eine typische Jubelmeldung zum „grünen “ erneuerbaren Strom aus Wasserkraft:
„(…) Das kleine Land im Kaukasus setzt voll auf grüne Energie. Schon jetzt bezieht das Land zwischen 80 und 90 Prozent des Stroms aus grünen Energiequellen, davon mehr als 50 Prozent aus großen Wasserkraftwerken. Langfristig sollen die Erneuerbaren Energiequellen den gesamten Elektrizitätsbedarf decken. Zudem soll Strom zu einem der wichtigsten Exportgüter werden.(…)Insbesondere Wasser spielt bei den Erneuerbaren Energien in Georgien eine bedeutende Rolle, denn das Land gehört zu den fünf wasserreichsten Staaten der Welt. Auf eine Landesfläche von 70.000 Quadratkilometern verteilt fließen 26.000 Flüsse. 300 davon verfügen über sehr großes Wasserkraftpotenzial und sind für die Nutzung der Wasserkraft prädestiniert. (…)“ (Urheber des Textes: Rödl & Partner GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft, 2017)
Insider und Naturschutz-Realisten wissen, welch ein Damokles-Schwert über den Flüssen des Kaukasus angesichts solcher geschäftstüchtiger Witterung von Bauprojekten schwebt. Es ist das selbe Bedrohungspotenzial durch Wasserkraft wie für die Flüsse des Balkans, Skandinaviens, Südfrankreichs, Portugals oder Schottlands…
Deutschland (siehe Karte oben), inzwischen das gelobte Land „grüner“ Erneuerbarer Energien, hat übrigens in Europa nach wie vor die höchste Wasserkraft-Ausbaudichte.
Einen Überblick über die weltweit zusätzlich zur Beeinträchtigung der Biodiversität freier Fließgewässer bestehende Problematik der letztlich nicht nachhaltigen Wasserkraft im Hinblick auf funktionale Langlebigkeit und die unterschätzten Versandungsprobleme großer Staudamm- und Stausee-Projekte liefert ein sehr lesenswerter Artikel von Tobias Landwehr in „Spektrum.de“ vom 11.01.2022 mit dem Titel „Das Sterben der Stauseen“. Anzumerken ist, dass es den dort zitierten Autoren weniger um die Problematik der Bedrohung der Biodiversität durch Wasserkraft als um die „Optimierung“ von Staudamm-Projekten geht. Dennoch sei dieser Blick auf die immensen Probleme der Wasserkraft als Argumentationshilfe empfohlen.
All diese Information für jene, die Wasserkraft pauschal als „naturverträglich“ bejubeln und nach dem Ausbau der letzten Flüsse und Bäche im Zeichen von „Nachhaltigkeit“ und „Erneuerbarer Energien“ rufen…Es besteht eine beklemmende Parallele zur naiven und beschönigenden Argumentation zum angeblich „naturverträglichen“ Ausbau der Windkraft.
Geduld, die Seite wird weiter bearbeitet.