Das Bild zeigt eine Gottesanbeterin, hängend am Ast eines Citrus-Baumes. Der enorme Artenreichtum der Insekten ist sowohl Symbol für die Vielfalt des Lebens auf der Erde als auch für ihre umfassende Bedrohung. Die Aufnahme entstand auf Mallorca im Jahr 2014. Foto: Wolfgang Epple.
Umfassende Bedrohung der Vielfalt – umfassende Bedrohung des Lebens
Vorbemerkung zur Begriffswahl: Biodiversität umfasst als Überbegriff die Vielfalt der Lebensräume (Ökosysteme), die Vielfalt der Arten (Spezies), und die genetische Vielfalt (Variabilität) innerhalb der Spezies (mit Unterarten, siehe das auf der Homepage gewählte Beispiel Leopard). Im Folgenden soll Biodiversität als Synonym für die Vielfalt des Lebens auf der Erde verwendet werden.
Zur Vielfalt des Lebens gehört seit der „neolithischen Revolution“ die wachsende Zahl und (zunächst) wachsende innerartliche Vielfalt der vom Menschen in „Obhut“ und Zucht genommenen Arten. Erwähnt werden muss, dass auch diese Vielfalt der vom Menschen gezielt weiterentwickelten Spezies, also die der „Nutztiere“ und „Nutzpflanzen“ inzwischen bedroht ist. Eine alarmierende Entwicklung, die seit Jahren bekannt ist und diskutiert wird. Die parallele Bedrohung der wilden Vorfahren dieser „Nutzorganismen“ verschärft die Problematik und hat Auswirkungen auf die Sicherheit der zukünftigen Ernährung einer weiter wachsenden Weltbevölkerung. Für eines der Hauptgetreide der Menschheit, den Reis, ist diese kritische Entwicklung längst bekannt und zu wenig beachtet. Festzuhalten bleibt:
Die Vielfalt des Lebens auf der Erde ist in praktisch allen Bereichen umfassend bedroht.
Die Beweislage ist erdrückend: Unter den wissenschaftlich gesicherten Überschreitungen der planetarischen Grenzen ist diese im Bereich der genetischen Vielfalt besonders weit fortgeschritten, während der Klimawandel zwar an Einfluss gewinnt, sich jedoch noch im Bereich einer gewissen Unsicherheit befindet (Steffen, W. et al (2015): Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science Vol. 347, Issue 6223, 1259855; DOI: 10.1126/science.1259855 http://science.sciencemag.org/content/347/6223/1259855).
Verlust der Vielfalt des Lebens drückt sich bereits quantitativ aus
Gigantische 550 Gigatonnen (550 Milliarden Tonnen) – so viel wiegt das gesamte tierische, pflanzliche und sonstige Leben auf der Erde. Das haben zumindest Autoren um Yinon Bar-On vom Weizmann Institute of Science in Rehovot berechnet und in »PNAS« vorgestellt. Wir Menschen machen von dieser Biomasse nur einen Bruchteil aus, denn gerade einmal 0,06 Gigatonnen entfallen auf unsere Körper, so dass wir »nur« ebenso viel wiegen wie aller Krill im Ozean oder alle Termiten an Land. Dennoch dominieren wir nahezu den ganzen Planeten, und zusammen mit dem Gewicht unserer Nutztiere von 0,1 Gigatonnen übertreffen wir das Gesamtgewicht aller anderen wildlebenden Säugetiere um das 20-Fache. Und auch die Haushühner und anderes Zuchtgeflügel bringen insgesamt mehr Biomasse auf die Waage als ihre wilden Verwandten.
Stand 2018: Wie die Wissenschaftler kalkulieren, haben wir seit der Eiszeit die Hälfte der pflanzlichen Biomasse und 85 Prozent der wilden Säugetiere ausgelöscht.
Die Big Killers der Artenvielfalt sind bekannt:
In einer Auswertung der Daten von über 8000 Spezies der „Roten Listen“ der IUCN aus dem Jahr 2016 rangiert der Klimawandel als Treiber des Artensterbens auf Rang 7. Daran ändert sich in wenigen Jahren nichts Grundsätzliches. Und dies entspricht allen weltweiten gründlichen Forschungen zu den Zusammenhängen zwischen menschlichem Einfluss auf den Planeten und dem Verlust bzw. der Bedrohung der Biodiversität. Die „Big Killers“ sind bekannt. Der Handlungsbedarf ist unumstritten.
Ganz grundsätzlich ist die Vernichtung der Primärwälder weltweit ein drängendes Problem beim Verlust der Artenvielfalt, siehe die Seite zu den Wäldern hier.
Big Killer Nr. 1: Landnutzung und Landnutzungswandel – heutige Intensivlandwirtschaft
Insbesondere die Form und heutige Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung trägt zum weltweiten Artensterben entscheidend bei:
Am Beispiel der Vögel ist dies für Europa gut erforscht. In einem Übersichtsartikel in „Spektrum.de“ sind viele der Fakten zusammengetragen.
Big Killer Nr. 2: Verstädterung, Zersiedelung für Industrie, Verkehr, Wohnen
Als weiterer hauptsächlich zum Artensterben beitragender „Big Killer“ rangiert die weltweite Zersiedelung im Rahmen Verstädterung in der Auswertung der IUCN-Daten an zweiter Stelle. Wie neueste Forschungen in Ungarn an Kohlmeisen zeigen, sind die Stadtlebensräume, die von vielen Arten im Rahmen ihrer Koexistenz mit dem Menschen genutzt werden, auch hinsichtlich ihrer Nahrungsgrundlagen-Qualität alles andere als ausreichend. Insbesondere sind auch in der Stadt die Insektenbestände zurückgegangen und bieten für Vögel offensichtlich immer weniger ausreichende Grundlagen zur Ernährung einer gesunden Nachkommenschaft…
Fazit: Nicht nur auf dem Land, nicht nur durch Landnahme des Menschen für Siedlung, Industrie und Verkehr, sondern auch innerhalb der so entstandenen urbanen Lebensräume geht es bergab für viele Arten.
Ein herausragendes Beispiel für genetische und evolutionäre und gleichzeitig bedrohte Vielfalt liefert im Bereich der Blütenpflanzen die Familie der Orchideen weltweit. Sie erregen die Aufmerksamkeit von Botanikern und Laien unter den Pflanzenliebhabern gleichermaßen. Viele einheimischen Orchideen sind im Rückgang begriffen. Lebensraumzerstörung durch „Meliorationen“, d.h. Trockenlegung von Nasswiesen und Sümpfen oder Mooren, Überdüngung oder nicht standortgerechte Nutzung sind Gefährdungsfaktoren und Rückgangsursache z.B. bei den Knabenkräutern:
Klimawandel und Biodiversität – ein komplexes Thema, differenzierte Sicht erforderlich
Im erdgeschichtlichem Maßstab hat sich das Klima stets gewandelt, und das Leben musste sich im Rahmen der Evolutionsprozesse anpassen. Durch die Inbesitznahme und Veränderung großer Bereiche durch den Menschen sind diese natürlichen Anpassungsprozesse heute erschwert, oder sogar verunmöglicht:
Verschiebung von Vegetationszonen oder der Verbreitungsgebiete von Arten wäre nötig. Dies findet auch statt, ist aber vielerorts durch von Menschen geschaffene Barrieren und Veränderungen kaum mehr möglich. Bildlich gesprochen: Die Pfade der Evolution in die Zukunft sind verengt, und teilweise ganz versperrt.
Die Gleichsetzung oder gar Hintansetzung des Themas Verlust der Biodiversität hinter den Faktor Klima im Rahmen der Hysterie und des medialen und politischen Hypes um den Klimawandel allerdings ist nach heutigem Wissenstand in keiner Weise gerechtfertigt (Argumentation ausführlich in Epple 2017). Vielmehr gilt:
Der Verlust der Biodiversität gehört mit schonungslosem Blick auf die Gründe on Top der Agenda der Überlebensfragen der Menschheit.
Zu den Auswirkungen des Klimawandels ist ohnehin eine differenzierte Sicht erforderlich:
Klimaerwärmung bedeutet nicht pauschal Verlust von Artenvielfalt
Wie sehr sorgfältiges Beobachten und Argumentieren hinsichtlich der Artenvielfalt gerade in Zeiten der um sich greifenden Klima-Hysterie nötig sind, zeigt eine Studie an den Wildbienen des Botanischen Garten in München. Diese Studie, auf die ich hinweise, ist deshalb heuristisch äußerst wertvoll, weil sozusagen „System-bereinigt“ gezeigt wird, dass der Klimawandel auf eine Insektengruppe, von der das zu erwarten war, ganz anders wirkt, als die Klima-Alarmisten inzwischen zu praktisch jedem Thema zu streuen versuchen. Fallen Gifteinsatz und negativ wirkender Landnutzungswandel (Intensiv-Landwirtschaft) weg, sind wärmeliebende (Insekten-)Arten durch die Klimaerwärmung wie zu erwarten auf dem Vormarsch – q.e.d.. Mit der Wildbienenstudie im Botanischen Garten München liegt ein sehr illustres Langzeit-Freiland-„Experiment“ mitten im durch Intensivnutzung geprägten und gekennzeichneten Mitteleuropa vor. Einige Zitate aus der die Studie begleitenden Pressemitteilung der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns vom 22. 03.2018 (veröffentlicht hier), (fette Hervorhebung durch WE):
„Mindestens 106 Wildbienenarten kommen im Botanischen Garten München-Nymphenburg vor, eine Zahl, die sich in den letzten Jahren durch das Hinzukommen von 15 wärmeliebenden Arten erhöht hat. Eine weit verbreitete Fehleinschätzung ist es, dass am derzeit festgestellten drastischen Insektenrückgang auch die Klimaerwärmung mit schuld sein könnte. Es ist jedoch schon lange bekannt und nachgewiesen, dass diese eher zu einer Vermehrung der Insektenanzahl führen würde, denn wärmeliebende Insekten sind in mediterraneren Klimaten, und natürlich den Tropen, schon immer zahlreicher als in mehr nördlichen Breiten. (…)Die Ergebnisse sind überraschend deutlich: wurden 1997-1999 noch 79 Wildbienenarten im Botanischen Garten nachgewiesen, konnten 20 Jahre später 106 Arten gefunden werden. Im gesamten Stadtgebiet München sind seit 1990 192 Bienenarten von Insektenkundlern gefunden worden, das heißt 55% aller Münchner Bienenarten kommen auch im Botanischen Garten mit seinem reichhaltigen Angebot an Nahrung und Nistplätzen vor. Eine Untersuchung der Temperaturpräferenzen der neu gefundenen und der nicht mehr gefundenen Arten ergab: von den 1997-1999 nachgewiesenen 79 Arten wurden 62 von 2015 bis 2017 wiedergefunden (einige davon sind heute sehr viel häufiger), aber 15 wärmeliebende Wildbienenarten wurden erstmals gefunden. Drei Wildbienenarten, die eher kühlere Lebensräume (wie Wälder) bevorzugen, wurden nicht wiedergefunden. Zwischen 1997 und 2017 hat sich die durchschnittliche Temperatur während der Vegetationszeit in München um 0.5 °C erhöht, während die Winter immer kürzer wurden. (…)Keinerlei Zusammenhang konnte dagegen gefunden werden zwischen Verschwinden oder Neufund und dem Rote-Liste-Status oder den Nahrungspräferenzen der Arten (ob sie z.B. auf bestimmte Blüten spezialisiert sind oder nicht) – lediglich die Wärmepräferenzen der Bienenarten waren signifikant für ihr Vorkommen.“
Hier geht es zur Originalarbeit, die die Sicht auf das in aller Munde geführte Insektensterben zumindest komplettiert:
https://link.springer.com/article/10.1007/s00442-018-4110-x
Eine weitere aktuelle Feldarbeit aus Bayern belegt, dass die Erderwärmung sich nicht per se negativ auf die Vielfalt der Insekten in unseren Breiten auswirkt, dass vielmehr intensive Landwirtschaft und auch Verstädterung Schlüsselfaktoren für das „Insektensterben“ sind; hier der Link zum Artikel in „nature“:
In einer begleitenden Mitteilung der Universität Würzburg lässt bereits eine Teilüberschrift aufhorchen:
„(…) Insekten profitieren von höheren Temperaturen
„In dieser Studie konnten wir zum ersten Mal die Auswirkungen von Klima und Landnutzung auf Insekten in einer mitteleuropäischen Landschaft voneinander trennen“, erklärt Jörg Müller. „Interessanterweise haben die Temperatur am Standort sowie die durchschnittliche Jahrestemperatur ausschließlich positive Auswirkungen auf die Biomasse und die Vielfalt der Insektenpopulationen. Die Form der Landnutzung dagegen wirkt sich unterschiedlich auf Biomasse und Diversität aus“.
„Den größten Unterschied bezüglich der Insektenbiomasse fanden wir zwischen naturnahen und städtischen Gegenden. In der Stadt war die Biomasse um 42 Prozent niedriger. Die Insektenvielfalt war dagegen im Agrarbereich im Vergleich zu naturnahen Lebensräumen um 29 Prozent geringer. Von bedrohten Arten fanden wir in Agrarräumen sogar 56 Prozent weniger“, sagt Johannes Uhler, JMU-Doktorand und Erstautor der Studie. (…)“ Zitat Ende.
Zur Illustration zwei sehr auffällige Vertreter der Wirbellosen, die von der Klimaerwärmung profitieren; ein Insekt, ein Spinnentier:
Geduld, die Seite wird weiter ausgebaut…