Das Beitragsfoto zeigt einen Großtrappen-Hahn in voller Balz-Pose. Foto: Bärbel Litzbarski.
Die Großtrappe ist mit einem Gewicht von bis zu 16 kg einer der schwersten flugfähigen Vögel der Erde. Dass in Deutschland der eindrucksvolle Vogel überhaupt noch bewundert werden kann, ist dem nunmehr über 40 Jahre dauernden unermüdliche Einsatz eines Vereins, dem Förderverein Großtrappenschutz e.V., verdanken.
Gab es im Jahr 1940 in Deutschland noch ca. 4100 Großtrappen, war der Bestand zum Tiefpunkt im Jahr 1997 auf ganze 56 Exemplare geschrumpft. In der Gegenwart leben wieder 347 Großtrappen in Deutschland (Stand März 2021).
Die letzten Vorkommen waren schon in den 1970er Jahren auf DDR-Gebiet. Wie Bärbel und Heinz Litzbarski in ihrer Übersichtspublikation 2015 berichten, konzentrieren sich die Schutzbemühungen nach dem Erlöschen der Vorkommen unter anderem in der Uckermark, der Magdeburger Börde oder Ostbrandenburg auf die letzten drei verbliebenen Gebiete Havelländisches Luch, Belziger Landschaftswiesen und Fiener Bruch. Nach ihren Angaben stehen gegenwärtig in den drei Gebieten 20.000 ha als SPA („Special Protected Area“, EU-Vogelschutzgebiet) und 10.114 ha als Naturschutzgebiet (NSG) unter Schutz, das sind 42% bzw. 21% des Kernlebensraums.
Die Großtrappe teilt das Schicksal des Rückgangs und drohenden Aussterbens mit vielen bodenbrütenden Vogelarten, wie Kiebitz, Uferschnepfe, Rotschenkel oder Brachvogel. Und dennoch gibt es Besonderheiten und Unterschiede. Denn die „Limikolen“ (Wiesenwatvögel), auf die an anderer Stelle eingegangen wird, brüten in intakten Habitaten in gemischten Gemeinschaften und haben durch eine wohlorganisierte gemeinsame Abwehr bessere Chancen gegen Beutegreifer als die für Prädatoren auffälligen, großen und daher relativ leicht für die natürlichen Gegenspieler aufzufindenden Großtrappen mit ihren Gelegen.
Zur für den ganzheitlichen Naturschutz äußerst komplexen Problematik rund um Prädation kommen wir im Rahmen aller Rückgangs- und Gefährdungsfaktoren, die hier beleuchtet sein sollen.
Rückgangsursachen und Bedrohung der Großtrappe
Landnutzungsänderung und Intensivierung der Landwirtschaft
Hauptursache für das geschichtliche Aussterben der Großtrappe aus vielen Gebieten nicht nur in Deutschland ist die Intensivierung und Änderung der landwirtschaftlichen Nutzung: Umbruch von Grünland zu Ackerland, Intensivierung der Nutzung durch häufigere und frühere Mahd, Intensivierung des Ackerbaus, insbesondere die zunehmende Verbreitung des Anbaus von Mais, der Einsatz von Spritzmitteln mit dadurch ausgelöstem Rückgang der Insekten-Nahrungsgrundlage…
Zersplitterung der Lebensräume durch Siedlung, Infrastruktur, Stromleitungen…
Die Fragmentierung und Zersplitterung der Verbreitungsareale durch Infrastrukturmaßnahmen spielt für den Rückgang der Großtrappe eine große Rolle. Straßenbau, Zersiedlung und Energieinfrastrukturen wie Stromleitungen, an denen Großtrappen zu Tode kommen, tragen hierzu bei.
Eine Infrastrukturanalyse im Großraum der drei letzten Großtrappengebiete (2.980 km2) ergab, dass nur noch 9,8 % davon offen, unzerschnitten und unverbaut sind (SCHWANDNER, J. & T. LANGGEMACH (2011)s.unten, Literatur.
…und Entwertung bzw. Verriegelung der Lebensräume durch Windkraft
….205 WEA gab es z. Z. der Analyse 2010 im Gebiet der drei letzten Kernlebensräume… , weiterhin und speziell:
Wie sich zeigt: Zunehmend wird der Ausbau der Windkraft auch für die Großtrappe zum Problem: „Es sind eben nicht nur Verluste durch die Kollision mit Windrädern, sondern die Entwertung ganzer Teilbereiche durch die Scheuchwirkung auf Großtrappen, die bei der Anlage und dem Betrieb von Windparks bedacht werden müssen„, schreibt der Förderverein auf seiner Homepage.
In einem Vortrag mit dem Titel „Biologische Vielfalt im Lichte der Energiewende“ zeigt Dr. Martin Flade anhand von Grafiken von Dr. Torsten Langgemach/LfU Brandenburg den zeitlichen Verlauf der eintretenden Barrierewirkung der Windkaftindustrialisierung im Naturpark Fläming östlich von Kropstädt/Sachsen-Anhalt an der Grenze zu Brandenburg bei Marzahna. Es handelt sich um die von der LfU Brandenburg erwähnten über 90 Windenergieanlagen in jenem Bereich (siehe auch unten, Literaturstelle Eisenberg et al 2018, dortige Abb.12 ). Der Befund ist – wie alles rund um die negativen Auswirkungen von Windkraft – trotz erdrückender Beweislast umstritten. Dass eine Barrierewirkung von Verantwortlichen für den dortigen Ausbau der Windkraft in Abrede gestellt wird, dürfte nicht überraschen…wörtlich liest sich das im Umweltbericht zum Regionalplan Havelland-Fläming 2020 (S.148) so:
Verfolgung durch den Menschen/Jagd – hoffentlich für immer Vergangenheit
In früheren Zeiten führte auch Jagd und Abschuss zum Rückgang in einigen Verbreitungsarealen. Angesichts der heutigen Bestandssituation der Großtrappe in Europa dürfte eine Bejagung als Anachronismus und aus rechtlichen Gründen wohl für immer ausgeschlossen bzw. unverantwortlich sein. Vielmehr geht es heute darum, die verbliebenen Areale, auch die zuletzt verlassenen, für die Großtrappen geeignet zu erhalten und eine Wiederkehr in diese Gebiete zu ermöglichen.
Prädation und ihre Folgen: rechtlich und ethisch klar umrissener Artenausgleich
Seit einigen Jahrzehnten spielt die Erbeutung der Gelege durch Prädatoren (unter den Säugetieren Fuchs, neuerdings Marderhund und Waschbär, unter den Vögeln Kolkrabe, Nebelkrähe) und in jüngster Zeit die Erbeutung von Jung- und Altvögeln durch den in seinem Bestand erstarkten Seeadler eine zunehmende Rolle für die Schutzbemühungen in den letzten drei Vorkommen Deutschlands.
Für den Schutz der Großtrappe greifen daher sowohl rechtlich als auch ethisch Voraussetzungen für einen Artenausgleich (vgl. ausführlich diskutiert in Epple 1996, am Beispiel der Rabenvögel). Artenausgleich bedeutet: Eingriff in den Bestand einer Art zu Gunsten einer anderen.
Die Rechtsgrundlagen, voran die zu Grunde liegenden Richtlinien der EU und die allgemeinen Tierschutz-Vorgaben regeln von vornherein und in soweit, dass Eingriffe in Bestände von Wildtieren verhältnismäßig bleiben sollten.
Bestandserhebliche Eingriffe müssen nicht nur für streng geschützte Arten, sondern auch für Arten mit dem Mindestschutz des Grundgesetzes und selbstverständlich auch für jagdbare Arten, also z.B. den Rotfuchs, mit ethisch vertretbaren Mitteln durchgeführt werden, sollten sie den Anforderungen an einen ganzheitlich verstandenen Umgang mit der Natur genügen und die Glaubwürdigkeit aller Schutzbemühungen nicht untergraben. Verfolgungsexzesse sieht ein wissenschaftlich fundierter und ethisch konsistenter Artenausgleich nicht vor.
Das heißt ganz konkret: Aus der speziellen Situation Fuchs/Großtrappe oder Rabenvögel/Großtrappe kann beispielsweise keine generelle Verteufelung des Fuchses oder der Rabenvögel hergeleitet werden, siehe hier. Dass sich tierquälerische Jagdpraktiken nicht mit Großtrappenschutz rechtfertigen lassen, versteht sich also von selbst. Genauso unbestreitbar ist unter den derzeitigen Lebensraumbedingungen die Wirksamkeit und Notwendigkeit fachgerechter Maßnahmen zur Eindämmung der Prädation. Dazu gehören insbesondere auch Fuchs-sichere Umzäunungen.
Für den Ausgleich unter besonders geschützten Arten – im Falle der Großtrappe ist der Seeadler ein streng geschützter Kontrahent – gelten die Ausnahmetatbestände des EU-Artenschutzrechtes, jeweils mit der Einschränkung, „sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt“ (Artikel 9 Vogelschutzrichtlinie) bzw. sinngleich „Sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt“ (Art. 16 Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) zum Schutz der Pflanzen- und Tierwelt (Art. 9a Vogelschutzrichtlinie)bzw. zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Art. 16 a FFH-Richtlinie).
Den ethischen Rahmen liefert meine Betrachtung hier: Der Verlust der Restpopulationen der Großtrappe wiegt schwerer als der – dann und unter der Voraussetzung der Vermeidung jedweder Tierquälerei ethisch konsistente – Eingriff etwa in die Fuchsbevölkerung oder die Population von Rabenvögeln (siehe auch Epple 1996).
Artenausgleich also unter Voraussetzung aller so weit als möglich verwirklichten und notwendigen Schutzmaßnahmen, auf die wir nun zu sprechen kommen:
Schutzmaßnahmen für die Großtrappen
Marcus Borchert, 1. Vorsitzender des Fördervereins Großtrappenschutz e.V., schreibt mir zu den Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Einordnung von Prioritäten und öffentlicher Wahrnehmung des Artenausgleiches (fette Hervorhebung durch mich):
„(…) Dabei wird meistens übersehen, dass die Bejagung von Bodenprädatoren nur ein Teil unseres Prädationsmanagements ist (zu dem z.B. auch großflächige Schutzzäune zur Ausgrenzung von Bodenprädatoren oder auch Maßnahmen der Habitatgestaltung zählen) und dieses wiederum nur ein Bestandteil des gesamten Schutzprojektes ist. Das Habitatmanagement steht seit jeher im Vordergrund unserer Bemühungen. Nur leider wird dies in der Öffentlichkeit oftmals nicht beachtet. Dabei sind die Ergebnisse unseres Projektes, welches in seiner über 40jährigen Kontinuität zumindest in Deutschland vermutlich einmalig ist, durchaus sehenswert. In den Schutzgebieten mit Großtrappenvorkommen ist inzwischen eine bemerkenswerte Biodiversität zu finden. Während vielerorts die Insektenvielfalt und -biomasse besorgniserregend zurückgeht, verzeichnen wir z.B. im NSG Havelländisches Luch den gegenläufigen Trend mit einer jährlich wachsenden Artenvielfalt. Dies ist natürlich den Maßnahmen zu verdanken, die vordergründig dem Schutz der Großtrappe dienen, aber von denen selbstverständlich die gesamte Biozönose der Agrarlandschaft vor Ort profitiert.„
Mit dieser persönlichen Mitteilung des Insiders ist das Wesentliche schon ausgedrückt: Letztlich in der Reihenfolge der Wirksamkeit ist in einem solchen komplexen Projekt eine ganze Kaskade von Bemühungen nötig.
Schutzmaßnahmen für die Großtrappe sind
- Herausforderung und Chance zugleich für eine wirksame Extensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung sowohl im Bereich des Grünlandes als auch des Ackerbaus
- Herausforderung an eine sorgfältige und glaubwürdige Durchführung von Managementmaßnahmen rund um den Artenausgleich unter Vermeidung von Hass auf Prädatoren.
- Herausforderung und Chance zugleich für das Überdenken aller weiteren Landnahme-Aktivitäten des Menschen auf Kosten der offenen Landschaft; hierzu gehört ein Moratorium – eine wirklich eintretende Denkpause – für weitere Infrastrukturmaßnahmen im Bereich Siedlung, Industrie, Verkehr und besonders Energie (Freileitungen, Windkraftindustrie).
Immerhin werben die in der Region etablierten Naturparke „Westhavelland“ und „Hoher Fläming“ auch mit dem Vorkommen und der Möglichkeit der Beobachtung von Großtrappen. Deshalb sind die Schutzmaßnahmen rund um die Großtrappe auch Chance für das Ansehen einer ganzen Region. Die Überbauung der Landschaft mit Windraft-Kolossen dürfte nicht zuträglich sein.
Dass sich Artenvielfalt trotz Klimawandel stabilisieren und sogar zunehmen kann, wenn Schutzmaßnahmen gerade im Bereich der Landwirtschaft und Landnutzungsänderung greifen, ist ganz nebenbei ein weiterer fundierter Hinweis auf die Rolle der „Big Killers“ im Bereich der Biodiversität (siehe hier, mit weiteren Befunden).
Erhalt der Großtrappe: Möglichkeit grundsätzlicher Erkenntnisgewinne für die wissenschaftliche Fundierung von Artenschutz
Mit Hinweis auf die unten angegebenen Literaturstellen (mit dort weiterführender Literatur) sei auf eine weitere Herausforderung hingewiesen, die am Beispiel der Großtrappe mit erforscht werden kann: Es sind die Fragen rund um genetische Verarmung durch Isolation kleiner Restbestände gefährdeter Arten und die Folgen der Verinselung von geeigneten Lebensräumen: Wie ist der Austausch zwischen letzten Kernlebensräumen? Gelingt eine Besiedlung verwaister früherer Brutgebiete? Welche Rolle spielt der Austausch zwischen Teilpopulationen? Welche Rolle spielt die „Dismigration“, also die Zerstreuungswanderung erwachsen werdender Jungvögel? Gibt es Zuzug von weiter entfernten Großtrappen-Bevölkerungen? Können Stützungmaßnahmen wie Handaufzucht und Wiederauswilderung in anderen Gebieten angewendet werden?…usw. usf.. Alles rund um den Schutz der Großtrappe beinhaltet Grundsatzfragen und Lektionen für den Artenschutz!
Für die Erhaltung der Großtrappe gibt es daher ein internationales „Memorandum of Understanding“:
- Nach diesem internationalen Übereinkommen im Rahmen der Bonner Konvention sollen die Länder die in letzter Zeit („recently“) verwaisten Großtrappenlebensräume erfassen und in die Schutzbemühungen durch geeignete Landbewirtschaftung sowie Managementmaßnahmen einbeziehen, um sie als Potenzialgebiete für die Großtrappe zu erhalten und deren Rückkehr zu ermöglichen. Für den Schutz der Großtrappen auf den Zugwegen und in den Überwinterungsgebieten sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
- Die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Metapopulationsstruktur* bei allen Managementmaßnahmen wird durch PITRA et al. (2011) betont.
* unter „Metapopulation“ verstehen Biologen eine Gruppe von Teilpopulationen, die untereinander in (häufig beschränktem) genetischen Austausch stehen. Die letzten drei Teilpopulationen der Großtrappe in Deutschland bilden eine solche.
Für alle diese Fragen und an ihrer Lösung hat der Förderverein wertvolle Arbeit über Jahrzehnte geleistet. Weshalb es hier zur Unterstützung geht:
Spendenkonto Mittelbrandenburgische Sparkasse in Potsdam (MBS):
Förderverein Großtrappenschutz e.V.
IBAN: DE34 1605 0000 3859 1920 85
BIC: WELADED1PMB
Ausgewählte Literatur:
Borchert, M. & H. Watzke (2017): Vor dem Aussterben bewahrt: Das Schutzprojekt Großtrappe im Fiener Bruch. Der Falke 10/17: 34 – 37
Ich danke dem Team des Fördervereins Großtrappenschutz e.V. für wertvolle Hinweise und das eindrucksvolle Bildmaterial