Oktober 7, 2024

Naturschutz und Landwirtschaft

Das Foto zeigt eine Uferschnepfe mit Küken, in frisch gemähter Wiese, Stollhammer Wisch, Landkreis Wesermarsch, Niedersachsen. Bodenbrütende Vögel sind besonders von der Nutzungsintensivierung mit früher und häufiger Mahd, Düngung und Bodenbearbeitung betroffen. Der Erhalt ihrer Populationen und der Schutz der Individuen ist Aufgabe von Landwirten und Naturschützern zugleich. Die Gesellschaft muss für passende Rahmenbedingungen sorgen. Foto: Wolfgang Epple

Realität und gewissermaßen ökologisches Endstadium von Grünland, das noch vor wenigen Jahren artenreicher Lebensraum auch für Wiesenbrüter wie die Uferschnepfe war: Intensivnutzung mit Gülledüngung, Schleppen und Walzen während der Brutzeit, vielfacher und zu früher Mahd (eigene Erkenntnisse aus jahrelangen Freiland-Untersuchungen in der ökologisch vergleichbaren Stollhammer Wisch, Landkreis Wesermarsch, Niedersachsen). Zusätzlich werden immer größere Teile des weiten küstennahen Feuchtgrünlands mit Windkraftindustrie überbaut, was die Qualität der Lebensräume für die Vögel weiter einschränkt. Das Bild entstand im Februar 2018 bei Tergast, Ostfriesland, Niedersachsen. Foto: Eilert Voß.

Vom Landespfleger zum Sündenbock?

Die wissenschaftliche Fachwelt ist sich einig: Landwirtschaftliche Nutzung stellt weltweit den größten Bedrohungsfaktor für die Biodiversität dar. Doch Achtung! Hier muss stark differenziert werden. Je nach Region der Erde hat bäuerliche Landwirtschaft über Jahrhunderte auch zur Steigerung der Vielfalt des Lebens beigetragen. Deshalb wird hier nicht der heute vielfach übliche pauschale Ton der Verunglimpfung gegen „die Landwirtschaft“ angeschlagen.

Im Spannungsfeld von Nahrungsmittererzeugung und Bewahrung der Natur ist unbestritten: Die primäre Fruchtbarkeit und Produktionskraft der Erde, ihrer Ökosysteme und Böden ist durch verschiedenste vom Menschen verursachte Entwicklungen umfassend bedroht. Einen in vielerlei Hinsicht beklemmenden Überblick liefert das Kooperationsprojekt Bodenatlas 2015 (Heinrich Böll Stiftung, IAAS Potsdam, BUND und Le Monde diplomatique). Weltweit schrumpft die Ackerfläche pro Kopf bei gleichzeitig weiter wachsender Weltbevölkerung, was auch den verantwortlichen in der Politik (hier ist als Beispiel eine Broschüre des BMEL aus 2018 verlinkt) als Fakt seit Jahren zugänglich ist. Das hat Konsequenzen für den Menschen (Welternährung) und die Natur. Der Druck auf noch nicht „urbar“ gemachtes Land wächst.

Bevölkerungswachstum und Landknappheit in ausgewählten Ländern

LandVerfügbarkeit von Ackerland pro Kopf der Bevölkerung 
(in Hektar)
Entwicklungs-/Schwellenländer1979-19811994-1996
Bangladesch0,10,07
China0,10,08
Indonesien0,120,09
Pakistan0,240,16
Indien0,240,18
Ägypten0,060,05
Jordanien0,140,08
Burundi0,240,15
Kenia0,230,15
Industrieländer
USA0,830,71
Schweiz0,060,06
Deutschland0,150,14

Quelle: The World Bank, World Development Report 1998/99, Washington D.C. 1998, Tabelle 8.

Zwar sind weltweit noch immer die meisten Landwirtschaftsbetriebe sehr klein. Ein Verdrängungsmechanismus, der Kleinbauern betrifft, gespeist aus Landhunger, Land-Grabbing und dem Bevölkerungsdruck (Hunger) der sich rasch sowohl zahlenmäßig als auch ökonomisch entwickelnden Gesellschaften insbesondere in Asien (China, Indien) hat große Teile der Erde erfasst und bereits erdumspannende Auswirkungen, auf die wir auch in der Bevölkerungsfrage eingehen müssen.

Von der bäuerlichen und kleinteiligen Kreislaufwirtschaft ist die in vielen Teilen der Erde um sich greifende agrarindustrielle Produktion von Lebensmitteln, Futtermitteln und neuerdings „Energiepflanzen“ völlig verschieden. Sie würde zur Ernährung der weiter wachsenden Welt-Bevölkerung nach heutiger Kenntnis möglicherweise auch nicht mehr ausreichen. Bäuerliche Landwirtschaft muss also in den fruchtbarsten und begehrtesten Regionen agrarindustriellen Methoden weichen. Konkurrenz um Land ensteht auch deshalb, weil sogenannte Veredlung von Getreide zu Fleisch enorme Flächen und Ressourcen (Wasser, Düngemittel) beansprucht. Dort, wo sich kleine Bauern halten konnten, geraten sie in allen Erdteilen unter diesen Konkurrenzdruck durch die Agrarindustrie, die je nach Ausprägung und Gebaren bäuerliche Existenzen bedroht, zu Landflucht führt und die Tendenz der Verstädterung der Menschheit in den Randbereichen der Metropolen noch beschleunigt. Das Wuchern der Städte und Siedlungen verschlingt dabei weiteres wertvolles Ackerland.

In Mitteleuropa knappes Gut: Dünn besiedelte Kulturlandschaft mit überwiegend extensiver Nutzung, weichem Übergang von Offenland, Feuchtgebiet und Wald. In solchen strukturreichen Landschaftsrelikten besteht sowohl große Artenvielfalt als auch Erholungswert für den Menschen. Landschaftsschutz mit Integration von Naturschutz und landwirtschaftlicher Nutzung ist ein Instrument zum Erhalt solcher Vorzugslandschaften. Kernbereiche mit wertvollster Habitatausstattung sollten jedoch durch Seggregation in vollständigen Schutz vor menschlicher Nutzung überführt werden. Dies widerspricht nicht der Vorstellung eines Miteinander von Mensch und Natur, sondern ist Folgerung aus der Erkenntnis des Schwindens der letzten Wildnisse von der Erde. Das Bild entstand im Böhmerwald, CZ, die Waldflächen im Hintergrund gehören zum Nationalpark Sumava.
Foto: Wolfgang Epple

Die Bebauung geht grundsätzlich zu Lasten primärproduktiver Flächen, auch zu Lasten der für die Landwirtschaft geeigneten, und dürfte viele überraschen:

Nach einer 2019 erschienenen Studie des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) trifft auf 99 Prozent des Gebäudebestandes in Deutschland zu: Das nächste Haus befindet sich in maximal 1,5 Kilometern Abstand. Kein Standort ist weiter als 6,3 Kilometer vom nächsten Haus entfernt. Hier geht es zur Originalstudie in ScienceDirect:

Behnisch, M. et al. (2019): Settlement percolation: A study of building connectivity and poles of inaccessibility. Landscape and Urban Planning Vol. 191, 103631

Aus der seinerzeitigen begleitenden Pressemitteilung des IÖR vom 27. August 2019:

„Das größte gebäudefreie Gebiet misst gerade einmal 12,6 Kilometer im Durchmesser. Der maximale Abstand zum nächstgelegenen Gebäude beträgt damit nur etwas mehr als sechs Kilometer. Besonders überraschend für das Forscher-Team: „Entgegen unseren Erwartungen sind die größten Freiflächen nicht etwa in Naturschutzgebieten zu finden. Stattdessen zeigte sich, dass noch genutzte oder ehemalige Truppenübungsplätze die am wenigsten mit Gebäuden bebaute Fläche aufweisen“, berichtet Diego Rybski. Die fünf abgelegensten Gebiete sind die Truppenübungsplätze (TÜP) Bergen im Süden der Lüneburger Heide (maximale Entfernung zum nächsten Gebäude: 6.320 m), Baumholder (4.850 m) in Rheinland-Pfalz, Hohenfels (4.250 m) in der Oberpfalz und Oberlausitz (4.170 m) im Nordosten von Sachsen sowie der ehemalige TÜP Kyritz-Ruppiner Heide (4.440 m) in Brandenburg – immerhin ein Teil dieses ehemaligen Militärgeländes ist inzwischen wichtiges europäisches Naturschutzgebiet (Flora-Fauna-Habitat/FFH). (…)

Flächenschutz dringend erforderlich

„Unsere Ergebnisse machen deutlich, wie dringlich es ist, in Deutschland mehr für den Flächenschutz und auch für die Entsiegelung von Böden zu unternehmen“, so Martin Behnisch vom IÖR. Zwar gebe es bereits eine Vielzahl politischer Strategien, gesetzlicher Regelungen und planerischer Instrumente, die auf eine sparsamere Flächennutzung abzielten. Doch auch der leichte Rückgang bei der Neuinanspruchnahme von Flächen könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland von einer tatsächlichen Trendwende noch weit entfernt ist.“

Es ist daher mehr als zwiespältig, wenn für landwirtschaftliche Gebäude freie Flächen und fruchtbares Land zersiedelt werden, und das Landschaftsbild beeinträchtigt wird.

Neubau eines Stalls auf der „grünen Wiese“ im Jahr 2022. Das grundsätzlich richtige Privileg nach dem deutschen Baugesetzbuch für die Landwirtschaft, im Außenbereich bauen zu dürfen, sollte vor dem Hintergrund der Zersiedelung sorgfältigst angewendet werden. Insbesondere Gestaltung und bestmögliche Einbindung in die umgebende Natur müssen angestrebt und sollten selbstverständlich werden bzw. durch rechtlich bindende Vorgaben gewährleistet und auch überwacht sein. Foto: Wolfgang Epple

Flächenschutz ist in allen Teilen Europas notwendig und auf der ganzen Erde ein dringliches Anliegen eines ganzheitlichen Naturschutzes. Beispiel „Ferieninsel“ Mallorca:

Bäuerliche, über Jahrtausende genutzte Kulturlandschaft im Süden Mallorcas. Halboffene und mehr oder weniger baumreiche Kulturlandschaften sind in vielen trocken-warmen Gebieten der Erde typisch. Sie sind Beispiele dafür, dass der Mensch nachhaltig und in Partnerschaft mit der Natur trotz vorangegangener Rodung von Primärwäldern auch unter klimatisch schwierigen Bedingungen Land einigermaßen naturschonend bewirtschaften kann.
Je nach Erdregion, Nutzung und Baumarten wäre die Mischung von Holznutzung und Landwirtschaft, die Agroforstwirtschaft (Agroforestry) auch beispielhaft für die Unterstützung der CO2-Senkenfunktion der Landlebensräume. Auch solche Landschaften besitzen hohen Erholungswert für den Menschen. Weichen im Zuge des Landnutzungswandels extensive Nutzungsformen intensiv genutzten agrar-industriellen Monokulturen, wird die Wohlfahrtsfunktion solchen Kulturlandes für die Artenvielfalt und den Menschen vernichtet.
Foto: Wolfgang Epple

Landnutzung und ihr Wandel, also der Landnutzungswandel ist durch die Globalisierung und weltweite Handels-Vernetzung der Menschheit über die ganze Erde gekoppelt. Diese „Fernkopplung“ führt zu weltweit in ähnliche Richtung verlaufende Veränderungen und Prozesse: Aus kleinteiliger bäuerlicher Landwirtschaft wird großflächig intensive Agrarindustrie. Aus Vielfalt und Regionalität wird Monotonie und eine verengte genetische Basis bei Nutztieren und Nutzpflanzen. Für den ganzheitlichen Naturschutz müssen die Auswirkungen des Landnutzungswandels auf die Biodiversität, auf Bedrohung und Verlust von Arten und genetischer Vielfalt, in den Vordergrund gerückt werden. Und wie gezeigt: Die Versiegelung und Zersiedelung von Flächen ist weiterhin ein besonders dringendes Problem, selbst in unserem bereits extrem dicht besiedelten Land, und dies gerade auch im Rahmen der Verstädterung und des damit einhergehenden Verlustes von fruchtbarem Ackerland, und zwar weltweit.

Landwirtschaft und Insektensterben

Ein Hauptaugenmerk gilt seit geraumer Zeit dem Rückgang der Insektenfauna auf landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen. Ich greife eine besonders aussagekräftige Studie eines Forschungsteams um Jan Christian Habel von der Technischen Universität München (TUM) und Thomas Schmitt von der Senckenberg Naturforschungsgesellschaft auf, die sich mit dem Rückgang der Tagfalter beschäftigt. Aus der Mitteilung der Senkenberg-Pressestelle vom 19.03.2019 folgende Zitate (veröffentlicht hier):

Etwa 33.500 Insektenarten sind in Deutschland heimisch – doch ihre Menge nimmt dramatisch ab. Von den 189 aktuell in Deutschland vorkommenden Tagfalterarten stehen 99 Arten auf der Roten Liste, 5 Arten sind bereits ausgestorben, weitere 12 Arten vom Aussterben bedroht. „Es wird davon ausgegangen, dass dieser negative Trend größtenteils durch die Industrialisierung der Landwirtschaft bedingt ist“, erklärt Prof. Dr. Thomas Schmitt, Direktor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut im brandenburgischen Müncheberg (…)•(…) auf 21 Wiesenflächen östlich von München das Vorkommen von Tagfalter-Arten erfasst; 17 dieser Areale liegen inmitten von landwirtschaftlich genutzten Flächen, vier in naturnah bewirtschafteten Naturschutzgebieten. „Unsere Ergebnisse zeigen einen klaren Trend: In der Nähe von intensiv bewirtschafteten, regelmäßig gespritzten Feldern ist die Tagfalter-Vielfalt und Anzahl deutlich geringer, als auf Wiesen in der Nähe von wenig bis ungenutzten Flächen“, so der Erstautor der Studie, Prof. Dr. Jan Christian Habel (…)Insgesamt 24 Tagfalter-Arten und 864 Individuen (…) auf allen Flächen gezählt. „Auf den Wiesen innerhalb der landwirtschaftlich genutzten Felder haben wir im Schnitt 2,7 Tagfalter-Arten pro Besuch gefunden, auf den vier Untersuchungsgebieten innerhalb der beiden Naturschutzgebiete ‚DietersheimerBrenne’ und ‚Garchinger Heide’ waren es durchschnittlich 6,6 Arten“, ergänzt Prof. Dr. Werner Ulrich von der Copernicus-Universität im polnischen Thorn. (…)„Unsere Studie unterstreicht die negativen Auswirkungen der industrialisierten, konventionellen Landwirtschaft auf die Tagfalter-Vielfalt und zeigt, dass dringend umweltverträglichere Anbaumethoden benötigt werden. (…) schließt Schmitt (…)

Das Große Nachtpfauenauge (Saturnia pyri) ist mit bis zu 16 cm Spannweite der größte mitteleuropäische Schmetterling. Hier ein Männchen mit den stark gekämmten Fühlern. Die Nachtschmetterlinge sind wärmeliebend, und könnten eigentlich im Zuge der Klimaerwärmung auch in warmen Gegenden Süddeutschlands Fuß fassen. Leider sind die Populationen wie die des nahe verwandten Kleinen Nachtpfauenauges eher rückläufig, was mit dem Einsatz von Spritzmitteln (Insektiziden) in Obstanbaugebieten in Zusammenhang gebracht wird. Das Bild entstand vor Jahrzehnten in der Nähe des Neusiedler Sees/Österreich. Foto: Wolfgang Epple

Eine aktuelle Studie belegt für den Rückgang der Schmetterlinge eindrücklich die Rolle der Intensivierung der Landwirtschaft seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. In der begleitenden Pressemitteilung des Senckenberg Deutsches Entomologisches Institutes Müncheberg zur großangelegten Studie zum Rückgang von Schmetterlingsarten mit 59.870 Beobachtungspunkten auf einer Fläche von über 7.000 Quadratkilometern Größe…heißt es (fette Hervorhebung WE), Auszüge: “ (…) „Als Basis für unsere Arbeit haben wir Daten und Aufzeichnungen vom Haus der Natur Salzburg herangezogen, die bis in das Jahr 1920 zurück reichen. Sie zeigen, dass bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts zahlreiche Arten in ihren Beständen rückläufig waren. Ein zweites großes Aussterbeereignis fand dann in den 1960er-Jahren statt“, erläutert Prof. Dr. Thomas Schmitt vom Senckenberg Deutschen Entomologische Institut in Müncheberg und von der Universität Potsdam. (…)Ab Mitte des letzten Jahrhunderts führte insbesondere die Reduktion der Lebensraumqualität zu einem Verlust der Schmetterlingsvielfalt. (…) Vor allem für die 1960er-Jahre konnte das Forscher-Team vermehrt Rückgänge nachweisen, so beispielsweise für Schmetterlinge der artenreichen mageren Wiesen des Tieflandes. „Verantwortlich scheint hier die zu diesem Zeitpunkt einsetzende Industrialisierung der Landwirtschaft mit intensiven Einsätzen von Pflanzenschutzmitteln und künstlichen Düngemitteln zu sein. Hierdurch verschwanden viele naturnahe Elemente der Kulturlandschaft wie blütenreiche, magere Talwiesen mit ihrer hohen Artenvielfalt. Dieser Trend ist bis heute ungebrochen negativ“, ergänzt Schmitt*. Die Auswertungen des Teams zeigen zudem, dass ab 1980 die Schmetterlingsvielfalt in montanen und alpinen Gebieten rückläufig ist und dass die Zerstörung natürlicher und naturnaher Landschaften auch in den Gebirgslagen angekommen ist.(…)“ 

Ein Foto aus der Pressemitteilung:

Original-Legende:
Das Rotbraune Wiesenvögelchen Coenonympha glycerion ist ein Verlierer der industrialisierten Landwirtschaft
Foto: T. Schmitt/Senckenberg

* Prof. Dr. Thomas Schmitt ist Co-Autor der Studie

Auf dem Rückzug: Die Arten des extensiv genutzten Grünlandes

Der Wiesenpieper bewohnt Offenland, besonders feuchte Wiesen und Weiden. Foto: Eilert Voß.
Nicht nur die größeren Bodenbrüter wie die Wiesenwatvögel (Limikolen), etwa Kiebitz und die Uferschnepfe des Beitragsbildes, sondern inzwischen auch viele kleinen Vogelarten, die auf den (einstigen) Insekten- und Spinnenreichtum extensiv bewirtschafteter Grünländereien angewiesen sind, gehen in ihren Beständen in Folge der intensiven Bewirtschaftung stark zurück und räumen immer mehr früher besiedelte Brutgebiete. Zu diesen Arten gehört auch der hier gezeigte Wiesenpieper.
Sein naher Verwandter, der Baumpieper, Charaktervogel etwa von Streuobstgebieten, artenreichen Waldrändern und baumreichen Feldfluren, ist ebenfalls im Rückgang begriffen.
Der Kiebitz gehört in ganz Deutschland zu den Verlierern durch die Intensiv-Landwirtschaft. Im intensiv genutzten Grünland fallen Bruten und Küken den engmaschigen Bearbeitungszyklen aus Schleppen-Walzen, viel zu früher Mahd, Gülle-Ausbringung und dem zu dichten Aufwuchs bzw. dem Mangel an Nahrung zum Opfer. Stoß-Beweidung, insbesondere durch Jungvieh im Frühling gefährdet die Bruten. Dass auch Verluste durch Prädation eine Rolle spielen, wird keineswegs geleugnet. In intakten Wiesenvogel-Gemeinschaften, die oft in gemischten Brut-Kolonien von Kiebitz, Uferschnepfe, Rotschenkel, Bekassine, an der Küste auch Austernfischer und Großem Brachvogel bestehen bzw. bestanden, funktioniert allerdings eine gemeinsame Beutegreifer-Abwehr ganz hervorragend (Epple, bislang unveröffentlichtes Material aus einer Projektbegleitung in der Wesermarsch/Niedersachsen): Bei Auftauchen eines Prädators steigt eine ganze Armada von Elternvögel auf, und vertreibt diesen durch hartnäckige Attacken aus der Luft; gezielte Ablenkungsmanöver verwirren den Angreifer zusätzlich. Das Bild entstand in der Stollhammer Wisch/Landkreis Wesermarsch/ Niedersachen in den 1990er Jahren. Das wenige Tage alte, winzige nestflüchtende Kiebitz-Küken wird auf einer Mähfläche geführt. Foto: Wolfgang Epple

Die intensive Grünlandbewirtschaftung mit bis zu einem halben Dutzend Schnitten und zwischengeschalteter Gülle-Ausbringung führt zu kolossaler Verarmung des „Wirtschaftsgrünlandes“. Inzwischen ist diese Intensivst-Wirtschaft auch in schwierig zu bearbeitenden Lagen im Hügelland und selbst in Berglagen der Normalfall. Das folgende Foto zeigt den Unterschied:

Kräuterreiche, schwach oder nicht gedüngte Mäh-Wiesen sind vielerorts nur noch museale Relikte. Das Bild zeigt eine Situation in den ersten Julitagen 2023 im Vorderen Bayerischen Wald. Die Wiese mit ausgeprägtem Blühhorizont im Vordergrund wird jährlich nur ein- bis zweimal gemäht. Das Schnittgut wird – wie einst – zu Heu verarbeitet. Im Hintergrund (ein Bach bildet die Grenze) das zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal für Silage abgemähte Grünland, zwischenzeitlich – und jährlich – mehrfach mit Gülle behandelt. Solche benachbarten Flächen zeigen die Realität der kolossalen Verarmung: Keine Schmetterlinge, keine Bodenbrüter, keine Laufkäfer, nur sehr wenige Kräuter, dafür einige wenige „Turbo-Gras-Sorten“, die alles dominieren…Die über Jahrhunderte angepasste Lebensgemeinschaft der einst kleinbäuerlich genutzten und gepflegten Grünlandstandorte hat sich auf das – dauerhaft viel zu kleine – Relikt im Vordergrund zurückgezogen. Anspruchsvolle Arten verschwinden selbst aus solchen Flächen. Die Auswirkungen der Intensivnutzung rundum sind spürbar. Der für die Biodiversität alarmierend negative Schwund extensiven Grünlandes ist wissenschaftlich mit erdrückender Beweislast an vielen Orten Europas dokumentiert. Foto: Wolfgang Epple

Landwirtschaft und Gewässerschutz

Ein solches Bild sollte hoffentlich bald der Vergangenheit angehören:

Ackernutzung inklusive Spritzmitteleinsatz mit der Folge der Schädigung eines bachbegleitenden Seggenriedes (erkennbar an der hellen Färbung der Vegetation vor der einzelnen Fichte) bis hart an das Ufer eines Baches in Bayern. Frühjahr 2022. In Bayern wird das Volksbegehren „Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern – Rettet die Bienen“ als das „erfolgreichste Volksbegehren in der Geschichte des Freistaates“ vom zuständigen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz gefeiert. Der dort als Großtat gepriesene Gewässerrandstreifen mit einer Breite von 5 (in Worten: fünf!) Metern wird wie eine großartige Errungenschaft dargestellt, und ist doch viel zu kleinkariert. Die Realität ist mehr als ernüchternd: Noch nicht einmal diese fünf Meter werden eingehalten.
Für einen effektiven Artenschutz oder gar gerechten Interessenausgleich zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Gewässerschutz sind 5 Meter nicht im Ansatz ausreichend. Warum geben wir trotz erdrückender Faktenlage den Flüssen und den kleineren Bächen, den Lebensadern unserer Landschaft, nicht deutlich mehr Raum?
Foto: Wolfgang Epple

Die selbe Situation von oben fotografiert. Deutlich ist die bis an das Ufer des Baches abgespritzte Vegetation des Seggenriedes zu erkennen. Bei jedem stärkeren Niederschlagsereignis ist Erosion und Eintrag von Schadstoffen aus dem hängigen Maisacker in das Fließgewässer unvermeidlich. Siehe weitere Fotos unter der Abhandlung des Bibers auf der Seite zum Schutz der Arten im Interessenkonflikt. Die Aufnahme entstand am 29.Mai 2022.

Die Rolle der Landwirtschaft bei der Entwaldung

„Urbarmachung“ für den Landbau hat in großen Teilen Europas und im Mediterraneum (siehe obiges Foto Mallorca; im gesamten Mittelmeerraum Waldvernichtung schon beginnend in der Antike) und vermehrt im Mittelalter zu enormen Waldverlusten und der heute noch etwa bestehenden Verteilung von Wald und Offenland geführt.

Für Mitteleuropa ein nach historischer Waldrodung typischer Übergang von Wald in Offenland, in diesem Falle des „Ebersberger Forstes“ bei München inmitten einer Metropolregion ein besonders wertvolles Mosaik aus kulturell gewachsenen Lebensräumen. Das Landschaftsschutzgebiet soll durch Windkraft entwertet werden. Foto: Wolfgang Epple

Weltweit ist der Waldverlust ungebremst, und nimmt auch in Europa wieder teilweise erschreckende Ausmaße an.

Dass die seit Jahrzehnten wahrgenommene, immer wieder diskutierte Entwaldung in den Tropen (auf dieser Homepage beleuchtet hier) ebenfalls und bis heute überwiegend durch die Ausdehnung der Landwirtschaft bedingt ist, ist zwar längst bekannt. Nun zeigt eine aktuelle Studie, die in „Science“ veröffentlicht wurde, dass das Ausmaß des Anteils der Landwirtschaft noch höher ist als bisher kommuniziert. Besonders ernüchternd ist die Erkenntnis, dass nur ein geringer Teil der zerstörten Waldflächen in den Tropen tatsächlich einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden. In einer begleitenden Pressemitteilung der Humboldt-Universität Berlin* heißt es:

Landwirtschaft ist verantwortlich für mehr als 90 Prozent der tropischen Entwaldung

Auszüge (fette Hervorhebung WE): „(…) Eine neue Studie, die heute in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, stellt fest, dass die globale Landwirtschaft für 90 bis 99 Prozent der gesamten tropischen Entwaldung verantwortlich ist. Allerdings führt nur die Hälfte bis zwei Drittel davon zu einer Ausweitung der aktiven landwirtschaftlichen Produktion. Die Studie ist eine Zusammenarbeit der weltweit führenden Entwaldungsexpert:innen und liefert eine neue Synthese der komplexen Zusammenhänge zwischen Entwaldung und der Ausbreitung von Landwirtschaft. Nach Auswertung der besten verfügbaren Daten zeigen die Forschenden, dass der Anteil der tropischen Entwaldung, der der Landwirtschaft zuzuschreiben ist, deutlich höher ist als jene 80 Prozent, die oft in Politik und Wissenschaft angegeben werden. (…)„Unsere Studie verdeutlicht, dass zwischen 90 und 99 Prozent der gesamten tropischen Entwaldung direkt oder indirekt mit der Landwirtschaft zu tun haben. Uns hat aber überrascht, dass nur ein vergleichsweise geringerer Anteil der gesamten Entwaldung – zwischen 45 und 65 Prozent – direkt zu einer Ausweitung der tatsächlichen landwirtschaftlichen Produktion auf den abgeholzten Flächen führt. Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung für die Entwicklung wirksamer Maßnahmen zur Verringerung der Entwaldung und zur Förderung einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung“, sagt Florence Pendrill, Hauptautorin der Studie an der Chalmers University of Technology, Schweden. (…)Die Studie verdeutlicht, dass lediglich eine Handvoll Rohstoffe für den Großteil der Entwaldung im Zusammenhang mit der aktiven Produktion landwirtschaftlicher Flächen verantwortlich sind – weit über die Hälfte davon machen Weideland, Soja und Palmöl aus. (…)“

*Eine gleichlautende Pressemitteilung der Chalmers University of Technology zur Publikation finden Sie hier.

Eine weitere Studie belegt die Befunde am Beispiel des Gran Chaco, der ein Hotspot der Waldzerstörung auf der Erde darstellt. Auch zu dieser gibt es eine begleitende Pressemitteilung der Humboldt-Universität Berlin; Auszüge: „Die Landwirtschaft expandiert weiter in tropische Wälder, aber oft bleibt die Landnutzung nach der anfänglichen Entwaldung dynamisch. Eine Auswertung von Satellitenbildern der letzten 35 Jahre aus dem Gran Chaco in Südamerika zeigt, dass riesige Waldflächen zerstört wurden, aber auch, dass etwa ein Drittel der Gebiete überhaupt nicht für die Landwirtschaft genutzt wurden. (…)„Der Chaco ist ein globaler Entwaldungs-Hotspot, mit mehr als 19,3 Millionen Hektar Waldverlust seit 1985. Das ist eine Fläche, die mehr als halb so groß ist wie Deutschland“, erklärt Tobias Kümmerle*, Professor am Geographischen Institut der Humboldt-Universität. (…)„Wir haben auch festgestellt, dass etwa 30 Prozent aller Entwaldungsflächen nie für die Landwirtschaft genutzt wurden“, sagt Tobias Kümmerle. Die Forscher betonen, dass viele Erklärungen für diesen Befund möglich sind, zum Beispiel Landspekulation, Bauern, denen das Geld ausgeht oder die jetzt abholzen, weil sie befürchten, dass es in Zukunft illegal werden könnte.“

*Prof. Dr. Tobias Kümmerle ist Co-Autor der Studie

In beiden hier vorgestellten Studien weisen die Autoren auf die große Dringlichkeit der begleitenden Probleme hin, etwa im Bezug auf „Reinigen“ von Lieferketten, und auf den Bezug zum Verlust der biologischen Vielfalt. Selbstverständlich wird – zurecht – auch der Klimawandel erwähnt. Was jedoch in den Pressemitteilungen fehlt, ist ein eindeutiger Hinweis auf den Zusammenhang mit der gerade in den Tropen noch immer problematischen Bevölkerungsentwicklung der Menschheit , die doch für jeden Laien erkennbar direkt mit dem (nicht nur auf die Tropen beschränkten) Eindringen von immer mehr Menschen in Waldgebiete (das ist die Landnahme auf Kosten der Natur) und mit der Nachfrage nach Rohstoffen aus Lieferketten zusammenhängt und auf diese zurückwirkt…

Eine Hoffnung besteht in der Selbstheilung der Natur nach Waldzerstörung:

Für durch Landwirtschaft entwaldete Flächen und Regionen, in denen nachhaltige Nutzung nie richtig eingesetzt hat oder die Nutzung wieder aufgegeben wurde, besteht – wenn auch nicht überall – die Möglichkeit einer zwar nicht dem zerstörten Primärwald gleichzusetzenden, dennoch ökologisch für die Biodiversität und den Wasserhaushalt sowie das Kleinklima wertvollen Wiederbewaldung. Das Bild zeigt einen Blick in einen solchen nach der Entwaldung in Jahrzehnten nachgewachsenen Sekundärwald.
Halbinsel Nicoya, Costa Rica. Foto: Wolfgang Epple

Geduld, der Beitrag wird weiter vertieft…