In einem Artikel vom 19.04.2021 von Focus.de (https://www.focus.de/regional/niedersachsen/sie-schreit-geh-weg-geh-weg-joggerin-wird-ploetzlich-von-wolf-verfolgt-video-zeigt-bedrohliche-szene_id_13201086.html) zeigt sich Ignoranz heutiger Mainstream-Schreiber, wenn es um den in vielen Kreisen unbeliebten Rückkehrer Wolf geht.
Montag, 19.04.2021, 11:33
Eine Joggerin in der Nähe von Hamburg sieht auf einem Feld plötzlich einen Wolf. Das Tier kommt der Frau, die mit ihrem Hund unterwegs ist, bedrohlich nah. Die Frau schreit das Tier mehrfach an – und hält die bedrohlichen Minuten in einem Video fest.
Angst, Hilflosigkeit, aber auch schützende Kraft schwingen in ihren Worten mit. „GEH WEG, GEH WEG!“, schreit die Frau immer wieder. Sie will vermutlich vorrangig nicht sich schützen, sondern ihre Hündin, die sie immer fest an der Leine hält und versucht zu beruhigen.
Sie stehen auf einem Acker bei Wietzendorf (Landkreis Heidekreis), circa 60 Kilometer von Hamburg. Vor ihnen, nur wenige Schritte entfernt: ein Kreise ziehender Wolf.
Es ist eine Dramaturgie, die nur das Leben so wiedergeben kann, der Horror, aufgenommen in dem 160-Sekunden-YouTube-Video, Realität.
Wolf verfolgt Joggerin mit Hund auf Feld
Langsam bewegt sich die Frau von dem Wolf weg, ihre Augen sind immer in seine Richtung gerichtet. Sie bleibt stehen, brüllt das Tier an, zwingt es so in den Rückzug. Der Wolf blickt sie starr an, atmet eine große Wolke Luft aus.
Immer wieder kommt er ihr aber auch gefährlich nah. Einmal sogar so nah, dass sie beinahe nach ihm hätte treten können. Die Frau zieht fest an der Leine, redet – trotz lebensgefährlicher Situation – ruhig auf ihre Hündin ein. Sie will eine Konfrontation beider Tiere vermeiden.
Laut Angaben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, kurz BMU, hat die Hundehalterin genau richtig reagiert: anleinen, schreien, ruhig zurückziehen.
„Wölfe sind die Vorfahren unserer Hunde und können noch immer mit ihnen kommunizieren. Gerade die Tatsache, dass Wölfe Hunde unter Umständen als Artgenossen ansehen, kann jedoch problematisch sein“, so die Erklärung des BMU.
„Hunde verhalten sich in der Regel nicht wie Wölfe, was zu ‚Missverständnissen‘ führen kann.“ Aus Wolfssicht betritt der Hund ihr Territorium – was es zu schützen gilt. Der Mensch ist den Rudel-Tieren in aller Regel völlig egal.
Schon der achte Wolf in Hamburg gesichtet
Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte die Hamburger Umweltbehörde ein Foto eines Wolfes, der sich nahe der Sinstorfer Kirche am südlichen Stadtrand aufhielt. Es sei das achte in der Stadt gesichtete Tier, teilte die Behörde mit.
Und die Frau aus Wietzendorf? Das Video endet mit einer nach unten gerichteten Kameralinse, das Bild ruckelt, der Wind pfeift. Nur noch Schritte sind zu sehen, schweres Atmen zu hören – das Ende einer unheimlichen Begegnung.
Dieser Artikel wurde verfasst von Daniel Gözübüyük„
Soweit der Artikel des Focus.
Hier das Video zur Wolfsbegegnung; machen Sie sich selbst ein Bild, bevor ich kurz kommentiere:
So ist das mit Halbwahrheit in „Leitmedien“:
Der Wolf verfolgt Joggerin: falsch
Der Wolf kam gefährlich nah: falsch.
Lebensgefährliche Situation: falsch
Konfrontation der beiden Tiere vermeiden: wäre bei etwas ruhigerem Verhalten der Frau richtig: Der Hund gehört hinter die Frau!
Als Ethologe mit eigener Erfahrung aus der Begegnung mit Wölfen fasse ich den Vorgang kurz zusammen:
Die Joggerin und ihr Hund begegnen einem einsamen Wolf, vermutlich ein Jungtier, das ein Rudel verlassen hat, auf Wanderschaft. Diese Wolfs-Pioniere (meist Rüden) tragen zur Erschließung neuer Habitate der Wölfe entscheidend bei. Sie sind oft neugierig, wenig scheu, eher gewitzt, aber so gut wie nie aggressiv.
Der Wolf auf dem Video zeigt an keiner einzigen Stelle auch nur die Tendenz zur Aggression.
Jedoch: Die große Angst der Frau ist sicher nicht gespielt. Eine solche emotional stark herausfordernde oder gar überfordernde Situation kann sehr wohl in gewisser selbstbehindernder Hysterie enden. Dies – wie in vielen Kommentaren auf Youtube – nur verächtlich zu machen, trifft nicht den Kern, und ist letztlich ungerecht. Es sind die Medien vom Zuschnitt und mit der Wortwahl des Berichtes, die zur Wolf-Hysterie und Angst beitragen.
Angst vor Wildtieren schüren – ein schlechter Beitrag zur Versöhnung von Mensch und Natur. Die gesamte Diktion und Tendenz des Focus-Artikels ist Beispiel für schlechten Journalismus.
Schlussbemerkung:
Menschen in Ländern, in denen der Wolf nie ausgerottet war, reagieren zwar gelassener, aber durchaus ebenso nicht immer freundlich auf den Wolf. Sie wissen: Ein Wolf wird dem Menschen so gut wie nie gefährlich. Aber für Schafhalter oder Viehhirten ist er ein – geschickter – Kontrahent.
Warum also kann nicht unaufgeregt und gründlich recherchierend aus solchem Anlass über den Wolf und speziell das Verhalten einzelner Wölfe berichtet werden, ihr lieben Focus-Redakteure?
Für Nicht-Voreingenommene und Neugierige noch ein wenig bebilderter Hintergrund: