November 21, 2024

Wolfshysterie Marke Focus.de

In einem Artikel vom 19.04.2021 von Focus.de (https://www.focus.de/regional/niedersachsen/sie-schreit-geh-weg-geh-weg-joggerin-wird-ploetzlich-von-wolf-verfolgt-video-zeigt-bedrohliche-szene_id_13201086.html) zeigt sich Ignoranz heutiger Mainstream-Schreiber, wenn es um den in vielen Kreisen unbeliebten Rückkehrer Wolf geht.

Europäischer Wolf. Foto: Wolfgang Epple. Die Rückkehr des Wolfs nach Mitteleuropa ist begleitet von naiver bis begeisterter Zustimmung und gleichzeitig durchaus nachvollziehbarer Sorge insbesondere der Schafhalter. Die gelegentlich hasserfüllte Verfemung des Wolfes als „Schädling“, die vor allem in Jagdkreisen immer wieder aufflammt, ist nicht gerechtfertigt. Wölfe rotten keine anderen Arten aus. Ihre Anwesenheit trägt vielmehr zur Vervollständigung der Artenvielfalt auch in Kulturlandschaften bei. Ebensowenig ist das ebenso von Hass gespeiste Schüren von Angst und Hysterie geradezu abwegig, und Zeichen von rückwärtsgewandter Ewiggestrigkeit.
Für das Miteinander von Wolf und Mensch sind einige Anpassungen und das Wieder-Erlernen von Toleranz gegen Beutegreifer notwendig…Zu den Haupt-Lernschritten und Maßnahmen für ein gütliches Auskommen mit dem Wolf gehört insbesondere ein effektiver Schutz von Weidetieren. Für größere Schafherden und den Almbetrieb bzw. in Landschaften, in denen nicht gezäunt werden kann, muss das Hüten von Tieren wie in anderen Ländern wieder zum Normalfall werden (s.u.).

Hier der Artikel im Original:

Montag, 19.04.2021, 11:33

Eine Joggerin in der Nähe von Hamburg sieht auf einem Feld plötzlich einen Wolf. Das Tier kommt der Frau, die mit ihrem Hund unterwegs ist, bedrohlich nah. Die Frau schreit das Tier mehrfach an – und hält die bedrohlichen Minuten in einem Video fest.

Angst, Hilflosigkeit, aber auch schützende Kraft schwingen in ihren Worten mit. „GEH WEG, GEH WEG!“, schreit die Frau immer wieder. Sie will vermutlich vorrangig nicht sich schützen, sondern ihre Hündin, die sie immer fest an der Leine hält und versucht zu beruhigen.

Sie stehen auf einem Acker bei Wietzendorf (Landkreis Heidekreis), circa 60 Kilometer von Hamburg. Vor ihnen, nur wenige Schritte entfernt: ein Kreise ziehender Wolf.

Es ist eine Dramaturgie, die nur das Leben so wiedergeben kann, der Horror, aufgenommen in dem 160-Sekunden-YouTube-Video, Realität.

Wolf verfolgt Joggerin mit Hund auf Feld

Langsam bewegt sich die Frau von dem Wolf weg, ihre Augen sind immer in seine Richtung gerichtet. Sie bleibt stehen, brüllt das Tier an, zwingt es so in den Rückzug. Der Wolf blickt sie starr an, atmet eine große Wolke Luft aus. 

Immer wieder kommt er ihr aber auch gefährlich nah. Einmal sogar so nah, dass sie beinahe nach ihm hätte treten können. Die Frau zieht fest an der Leine, redet – trotz lebensgefährlicher Situation – ruhig auf ihre Hündin ein. Sie will eine Konfrontation beider Tiere vermeiden.

Laut Angaben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, kurz BMU, hat die Hundehalterin genau richtig reagiert: anleinen, schreien, ruhig zurückziehen. 

„Wölfe sind die Vorfahren unserer Hunde und können noch immer mit ihnen kommunizieren. Gerade die Tatsache, dass Wölfe Hunde unter Umständen als Artgenossen ansehen, kann jedoch problematisch sein“, so die Erklärung des BMU.

„Hunde verhalten sich in der Regel nicht wie Wölfe, was zu ‚Missverständnissen‘ führen kann.“ Aus Wolfssicht betritt der Hund ihr Territorium – was es zu schützen gilt. Der Mensch ist den Rudel-Tieren in aller Regel völlig egal.

Schon der achte Wolf in Hamburg gesichtet

Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte die Hamburger Umweltbehörde ein Foto eines Wolfes, der sich nahe der Sinstorfer Kirche am südlichen Stadtrand aufhielt. Es sei das achte in der Stadt gesichtete Tier, teilte die Behörde mit.

Und die Frau aus Wietzendorf? Das Video endet mit einer nach unten gerichteten Kameralinse, das Bild ruckelt, der Wind pfeift. Nur noch Schritte sind zu sehen, schweres Atmen zu hören – das Ende einer unheimlichen Begegnung.

Dieser Artikel wurde verfasst von Daniel Gözübüyük

Soweit der Artikel des Focus.

Hier das Video zur Wolfsbegegnung; machen Sie sich selbst ein Bild, bevor ich kurz kommentiere:

So ist das mit Halbwahrheit in „Leitmedien“:

Der Wolf verfolgt Joggerin: falsch

Der Wolf kam gefährlich nah: falsch.

Lebensgefährliche Situation: falsch

Konfrontation der beiden Tiere vermeiden: wäre bei etwas ruhigerem Verhalten der Frau richtig: Der Hund gehört hinter die Frau!

Als Ethologe mit eigener Erfahrung aus der Begegnung mit Wölfen fasse ich den Vorgang kurz zusammen:

Die Joggerin und ihr Hund begegnen einem einsamen Wolf, vermutlich ein Jungtier, das ein Rudel verlassen hat, auf Wanderschaft. Diese Wolfs-Pioniere (meist Rüden) tragen zur Erschließung neuer Habitate der Wölfe entscheidend bei. Sie sind oft neugierig, wenig scheu, eher gewitzt, aber so gut wie nie aggressiv.

Der Wolf auf dem Video zeigt an keiner einzigen Stelle auch nur die Tendenz zur Aggression.

Jedoch: Die große Angst der Frau ist sicher nicht gespielt. Eine solche emotional stark herausfordernde oder gar überfordernde Situation kann sehr wohl in gewisser selbstbehindernder Hysterie enden. Dies – wie in vielen Kommentaren auf Youtube – nur verächtlich zu machen, trifft nicht den Kern, und ist letztlich ungerecht. Es sind die Medien vom Zuschnitt und mit der Wortwahl des Berichtes, die zur Wolf-Hysterie und Angst beitragen.

Angst vor Wildtieren schüren – ein schlechter Beitrag zur Versöhnung von Mensch und Natur. Die gesamte Diktion und Tendenz des Focus-Artikels ist Beispiel für schlechten Journalismus.

Schlussbemerkung:

Menschen in Ländern, in denen der Wolf nie ausgerottet war, reagieren zwar gelassener, aber durchaus ebenso nicht immer freundlich auf den Wolf. Sie wissen: Ein Wolf wird dem Menschen so gut wie nie gefährlich. Aber für Schafhalter oder Viehhirten ist er ein – geschickter – Kontrahent.

Warum also kann nicht unaufgeregt und gründlich recherchierend aus solchem Anlass über den Wolf und speziell das Verhalten einzelner Wölfe berichtet werden, ihr lieben Focus-Redakteure?

Für Nicht-Voreingenommene und Neugierige noch ein wenig bebilderter Hintergrund:

Europäischer Wolf. Foto: Wolfgang Epple. Einzelne „einsame“ Wölfe – oft junge Rüden – tragen mit ihren sehr weiten Fernwanderungen zur Erschließung neuer Areale für die Wölfe und zum genetischen Austausch zwischen selbst weit entfernten Wolfspopulationen bei. Diese Fernwanderung ist in einem eindrucksvollen Film gewürdigt. Wenig Scheu vor dem Menschen ist – entgegen weit verbreiteter Ansicht – kein untypisches Verhalten gerade solcher „Pioniere“. Hätten die Wölfe in den vergangenen Jahrtausenden immer große Abstände zum Menschen gehalten, wäre es nie zur Domestikation und damit zur Entstehung des Haushundes gekommen. Die durchaus Wolf-typische Neugier hat also zur Geschichte des „besten Freundes des Menschen“ erheblich beigetragen. Die besonders in Behörden vertretene Lehrmeinung, wenig scheue Wölfe verhielten sich „unnatürlich“, ist fachlich nicht haltbar. Es ist deshalb ein Unding, Wölfe für ihre Neugier mit dem Tod zu bestrafen…Wolf-Sichtungen in der Nähe der Stadt sind kein Grund zur Beunruhigung. Deutschland ist wieder Wolfsland. Begegnungen mit dem Wolf bleiben selten, sind aber zukünftig zu erwarten und etwas Normales.

Wolf und Hund verstehen auch nach Jahrtausenden getrennter Entwicklung gegenseitig ihre“Sprache“. Foto: Wolfgang Epple. Die im Bild gezeigte, handaufgezogene Wölfin hatte einen Schäferhund-Collie-Mix-Rüden als Kumpan und „Ziehvater“. Die Verständigung – von gemeinsamem Futter-Fassen bis entspannten Rennspielen – war reibungslos und problemlos.

Wenn allerdings Wölfe in freier Wildbahn in einem intakten Rudelverband sind, werden Haushunde nicht akzeptiert und gelegentlich gezielt getötet. Insbesondere Jagdhunde, die in ein Wolfsrevier eindringen, können von Wölfen angegriffen und dann, wenn sich der Hund nicht zurückzieht, auch getötet werden. Ein Video, das einen solchen Vorgang mit einem schwedischen Elchhund zeigt, erlangte gewisse Bekanntheit. Die Wölfe handeln auch in solchen Fällen nicht blutrünstig, sondern ihrem natürlichen Verhaltensmuster gerecht werdend: Es geht um das Fernhalten oder Entfernen eines Eindringlings und Fresskonkurrenten aus dem Revier der Wolfsfamilie. In diesem Kontext der Territorialität kommt es durchaus auch dazu, dass Wölfe von Wölfen getötet werden.
Schäfer mit Schafherde; Das Bild entstand in den 1960er Jahren am Rand des Naturparks Schönbuch an meinem Heimatort Rohrau/Landkreis Böblingen/Baden-Württemberg. Foto: Wolfgang Epple. Das vor einem halben Jahrhundert noch grundsätzlich normale Hüten einer Herde kann Wolfsangriffe weitgehend verhindern. Wölfe haben zwar spezielle Taktiken, auch in eine Herde bei Anwesenheit eines Hirten einzudringen. Begleitet von Hüte- und Schutzhunden und dem Hirten aber sind auch große Herden sehr sicher. Das nicht nur „romantische“ Bild vom Hüter der Herde war durchaus Zeichen und Relikt aus jener Zeit, in der wehrlose Weidetiere von ihren Haltern grundsätzlich nicht alleine gelassen wurden.