Das Foto zeigt eine Gruppe Wisente ca. 100 km östlich Stettin/PL, aufgenommen im Jahr 2000. Die kleine Herde bewegte sich außerhalb jedes Schutzgebietes und erzeugte einen Verkehrsstau, weil die staunenden Menschen auf der vorbeiführenden Bundesstraße anhielten und ihre Fahrzeuge teilweise verließen, um zu fotografieren. Der vorläufige Erhalt des Flachlandwisents ist ein großes Verdienst Polens um den europäischen Artenschutz. Einem so großen Wildtier mitten in Europa angemessenen Lebensraum zuzugestehen: Herausforderung und gelungenes Beispiel für ganzheitlichen Naturschutz. Foto: Wolfgang Epple
veröffentlicht November 2019, WE
Was ist die Realität der Beziehung des Menschen zur Natur? Ist sie eine Frontstellung gegen die Natur oder ist ein Mitsein des Menschen in der Natur erreichbar? Warum müssen wir die Natur schützen, und vor wem?
Hinter diesen umfassenden Fragen steht ein an Facetten unendlich reiches Abenteuer, das uns Menschen seit der Bewusstwerdung unserer Sonderstellung unter allen Lebewesen der Erde herausfordert.
Sie sind eingeladen, den Versuch der Ergründung von einigen zentralen Konflikten im Verhältnis Mensch/Natur auf den folgenden Seiten zu begleiten. Sie werden abschreckenden Vorgängen wie Hass und Verfolgung von unschuldigen Wildtieren und positiven Beispielen und Tendenzen der Integration von Naturschutz und menschlichen Bedürfnissen begegnen.
Die Ökologische Krise der Menschheit auf ihrem Heimatplaneten ist untrennbar mit der Frage nach umfassender Gerechtigkeit verknüpft (siehe hier). Es geht um Gerechtigkeit in umfassendem Sinne: Gerechtigkeit zwischen Menschen und Gerechtigkeit im Umgang mit der Natur. Wir befassen uns im Grunde mit einer gleichermaßen sozialen und ökologischen Herausforderung, wie ein aktueller Übersichtsartikel in „Science“ eindrücklich unterstreicht. Es handelt sich also in Wirklichkeit um eine Sozial-ökologische Krise.
Grundlegend ist Gerechtigkeit zwischen Menschen. Sie ist Voraussetzung dafür, Gerechtigkeit gegenüber der Natur zu verwirklichen. Wenn aber bereits das Grundlegende in vielen Bereichen nicht erreicht werden kann, hat dann die Frage nach dem Schutz der Natur überhaupt eine Berechtigung, eine Chance auf Gehör? Was, wenn schon aus purer Armut in vielen Teilen der Erde keine Rücksicht auf die Natur genommen werden kann? Wir werden bei der Befragung einer Ethik des Naturschutzes auf die Ausdehnung dessen eingehen, was moralisch relevant ist, was mit der Sprengung des anthropozentrischen Rahmens umschrieben ist, und was konkrete Folgen für unser Verhältnis zur Natur sein könnten.
Natur ist alles, was lebendig und ohne unser Zutun ist. Auch die Voraussetzungen für das Leben in den Eigenschaften unbelebter Materie beziehen wir in diesen Naturbegriff ein. Natur ist alles, was wir nicht selbst gemacht haben, aus dem im Laufe der Stammesgeschichte auch unsere Spezies selbst hervorgegangen ist.
Sind wir aber noch zugehörig zu dieser Natur, in der unser Ursprung liegt? Fühlen wir uns überhaupt noch zugehörig? Was bedeutet die Naturferne von Milliarden Menschen in den heutigen Megacities für unsere Zukunft?
Schnell wird die Grundvoraussetzung des Versuchs einer Ergründung von Mensch-Natur-Konflikten klar: Wir benötigen den Blick auf das Ganze. Wir benötigen einen Blick auf die Geschichte unseres Geworden seins aus der Natur. Wir können dabei auch „stammesgeschichtlichen Altlasten„, etwa das Entstehen unseres gelebter Nachhaltigkeit entgegenstehenden expansionistischen Weltbildes beleuchten und das wertvolle Wissen unserer Vorfahren, das bis heute in den letzten auf archaischer Entwicklungsstufe lebenden Völkern vorhanden ist, angemessen würdigen.
In den frühesten Bewusstseins- und Entwicklungsstufen der Menschheit waren für unsere Vorfahren selbst Fels und Stein heilig, und der große Geist in allen natürlichen Dingen. Liegt hier, in den Anfängen, ein Schlüssel für die Versöhnung mit der Natur?
Im Laufe der immer stürmischeren kulturellen Entwicklung hat der Mensch mit großem Erfolg mit Ausnahme der Antarktis und der Eiswüsten einiger Hochgebirge die ganze Erde besiedelt und dabei fast vollständig verändert: Heute sind etwa 80 % der eisfreien Landmasse der Erde vom Menschen beeinflusste sogenannte Anthrome. Bei anhaltendem Bevölkerungswachstum ist der Druck auf die Natur und dabei insbesondere die Tendenz des weiteren raschen Wildnisverlustes ungebrochen.
In mehreren Feldern sind die planetarischen Grenzen für den Menschen definitiv überschritten. Der Biodiversitätsverlust gehört dabei on Top der Agenda. Das Gewicht unserer „Nutztiere“ auf der Erde überwiegt schon jetzt das Gewicht aller Wildtiere der Erde um etwa das 20-fache. Der Strom des Lebens, die Evolution, wurde und wird durch das Wirken des Menschen in starkem Maße verengt auf wenige uns „dienstbare“ Spezies, – ja er droht, dadurch zu versiegen. Speziell die Verstädterung löscht die Ergebnisse von Milliarden Jahren des in der Evolution entstandenen Artenreichtums aus.
Durch die rasante Entwicklung und das Wuchern der Städte werden auf der Erde bis zum Jahr 2030 weitere etwa 300.000 Quadratkilometer fruchtbarstes Ackerland verloren gehen. Denn die Siedlungen der Menschen wachsen da weiter, wo die Landnahme einst mit den ersten Homeranges in von Menschen bevorzugten Habitaten begann: an den fruchtbarsten und vorteilhaftesten Regionen: Fischreiche Küsten, Flusstäler und Flussdeltas, fruchtbare Ebenen…
Es ist keine Frage – der Erfolg unserer eigenen Spezies macht es dringend:
Wir müssen die verbliebenen Reste der primären Natur schützen, und wir müssen uns bemühen, die natürliche Vielfalt, die Biodiversität, auch in den vom Menschen veränderten Lebensräumen als Garant für die Stabilität der Systeme zu erhalten. Der Verlust der Biodiversität, einhergehend mit Degradation und Zerstörung der Lebensräume, ist bis auf Weiteres das drängendste Problem der sozial-ökologischen Krise der Menschheit.
Gerechte Teilung des Zugangs zu den Gütern der Erde unter Menschen jedoch ist die Voraussetzung für gerechtes Teilen der Erde mit außermenschlichen Seinsformen.
Unter der Befragung einer angemessenen Ethik des Naturschutzes werden wir darauf zurückkommen.
Auch gerade dann, wenn Arten in Konflikt mit menschlichen Nutzungsinteressen geraten, ist gerechtes Teilen der Erde die zu Grunde liegende Herausforderung. Je dichter besiedelt eine Region der Erde durch den Menschen ist, je weiter die Natur zurückgedrängt wird und wurde, desto höher ist die Anforderung an Bereitschaft zum Teilen mit der Restnatur, und umso komplexer werden die Probleme. Konkrete Beispiele finden Sie hier.
Ein brennendes Beispiel für die Virulenz des gerechten Teilens ist der Umgang des Menschen mit seinen allernächsten Verwandten, mit den letzten verbliebenen Menschenaffen der Erde:
Schimpanse, Bonobo, Gorilla und Orang-Utan kämpfen in teilweise verschwindend kleinen Rest-Populationen in ihren letzten Verbreitungsgebieten ums Überleben. Ein brandaktuelles Beispiel aus Afrika:
Die Bitte der Naturschützer von „Rettet den Regenwald“ , die die Öffentlichkeit am 18. Dezember 2019 erreicht, ist einfach und klar verständlich:
Gorilla-Land in Gefahr! Stoppt die Kakao-Plantagen!
Liebe Freundinnen und Freunde des Regenwaldes,
wussten Sie, dass es in Nigeria Gorillas gibt?
300 von ihnen leben verstreut in kleinen Waldgebieten in den Afi- und Mbe-Bergen im Grenzland zu Kamerun. Für die Zukunft der Menschenaffen ist es entscheidend, dass ihr Lebensraum intakt bleibt und nicht durch Straßen, Felder und Plantagen zerschnitten wird. Der Verlust eines Waldkorridors, der die isolierten Populationen verbindet, hätte verheerende Auswirkungen.
Doch ausgerechnet dort sind Bulldozer angerückt und haben Wald zerstört. Die Forstbehörde des Bundesstaates Cross River hat wochenlang nichts dagegen unternommen. Mittlerweile sind zumindest die Maschinen verschwunden, die Gefahr ist jedoch keinesfalls gebannt. Denn es liegt im Dunkeln, wer die Planierraupen geschickt hat.
Einheimischen zufolge soll auf den Flächen Kakao angebaut werden. Umweltschützer registrieren generell immer mehr Pflanzungen davon in den Wäldern der Region – es sollen bereits über 1.000 sein. Bestärkt wird diese Entwicklung womöglich durch Governeur Ben Ayade, der die Produktion von Exportprodukten wie Palmöl und Kakao ausweiten will.
Eine treibende Kraft dürfte zudem die Freude der Europäer am Naschen sein. In kaum einem Land wird so gern Schokolade gegessen wie in Deutschland. Um die Nachfrage zu befriedigen, kaufen die Schokoladenkonzerne Kakao, wo sie ihn kriegen können. Selbst wenn er aus Schutzgebieten und Gorilla-Habitat stammt.
Für Kunden in Europa ist es nahezu unmöglich zu erfahren, woher ihre Lieblingsschokolade stammt. Zwar kämpfen Umweltschützer in Brüssel dafür, dass die EU den Markt reguliert. Doch darauf können die Primaten in Nigeria nicht warten.
Governeur Ben Ayade hat es in der Hand, den Lebensraum der Gorillas in den Bergen von Afi und Mbe zu schützen.
Bitte unterschreiben Sie unsere Petition….