Ein Zwischenruf
Von Wolfgang Epple
Ein neuer Energiewende-Narrativ entsteht im Schatten und unter fragwürdigem Missbrauch des Krieges in der Ukraine. Es ist die Steigerung der Verlogenheit des Neusprechs „Freiheitsenergien„.
Nach dem von FDP-Finanzminister Christian Lindner in Verkennung und Ausblendung aller Realität in die Welt gesetzten Begriff „Freiheitsenergien“ werden die Erneuerbaren Energien von ihren Verfechtern im Zuge der verwerflichen Vermengung von Ukraine-Krieg und Energiewende neuerdings mit einem zusätzlichen Etikett behängt: „Friedensenergien“. Erneuerbare sollen demnach nicht nur Energie-unabhängig vom russischen Gas machen, indem zukünftig per Fracking gewonnenes und über den Ozean geschippertes LNG (Flüssiggas) aus den USA zu enormen (Klima-)Preisen den schönen Schein des deutsch initiierten Weltrettung-Sonderwegs bewahren soll („Freiheit“ nach der Neudefinition der Ampel, der Erneuerbaren-Branche und ihrer Vorfeldorganisationen). Erneuerbare tragen in der Kaskade aus Vermengung von Krieg, Energiewende und Freiheit nun unmittelbar zum Frieden bei – so wird uns verkündet. Zynisch und blasphemisch zugleich wirkt diese Erhebung zu „Friedensenergien“ gerade in Kirchen-nahen Foren für eine Branche, die – insbesondere durch die Bemühungen der Windkraftindustrie – dem Landschafts- Natur- und Artenschutz förmlich den Krieg erklärt hat, und mit der Ampel-Koalition nun willfährige politische Vollstrecker gefunden hat (siehe „Eckpunktepapier“ und Habecks „Osterpaket“).
Wer formuliert diesen zynischen Neusprech, wer verantwortet die Steigerung der Verlogenheit des Begriffs „Freiheitsenergien“?
Urheber und Benutzer des Neusprechs „Friedensenergie“, eine Auswahl
Es sind die bekannten EE-Protagonisten und Einpeitscher, aber eben nicht nur: Die Kirchen, seit Jahren unkritisch auf Seiten des ökoindustriellen Komplexes und an den finanziellen Gewinnen z.B. durch Verpachtung von Land beteiligt, werden ein weiteres Mal mitschuldig an der Zerstörung von Natur. Fünf einschlägige Quellen seien herausgegriffen:
- Franz Alt (12.März 2022) bei „Chrismon Das evangelische Magazin“:
„(…) Denn wahr ist: Nur erneuerbare Energien sind „Freiheitsenergien“ (Christian Lindner), aber sie sind auch Friedensenergien.
2. Claudia Kemfert (26.März 2022) bei „evangelisch.de“:
„(…)Auch Forderungen nach einer Änderung oder einem Aufschub des Atomausstiegs erteilte Kempfert, die auch Professorin an der Leuphana Universität in Lüneburg und stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen ist, eine Absage. Stattdessen sollten die Erneuerbaren Energien viel schneller ausgebaut werden, forderte sie. „Je schneller wir da vorwärtskommen, je schneller wir auch einen Booster starten für einen Ausbau der Windenergie, für Solarpflicht auf den Dächern, für den Umbau hin zu mehr Flexibilität auch in der Kopplung mit Elektromobilität und Wärmepumpen von Gebäuden, desto besser.“ Nötig sei, Flächen für die Windenergie auszuweisen, Genehmigungsverfahren zu erleichtern und die finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten für die Kommunen zu verbessern. „Und da brauchen wir ganz viel Ambitionen und ganz viele Schritte, dass das sehr viel schneller gelingt“, sagte die Energieökonomin. Für den Klimaschutz sei die Kombination von einem Ausbau der Erneuerbaren Energien mit Energiesparen zentral.
3. Fridays for Future (Luisa Neubauer, 01. März 2022):
4. Misereor (Madelaine Wörner, 17.März 2022):
https://blog.misereor.de/2022/03/17/wir-brauchen-friedensenergien-der-krieg-gegen-die-ukraine-und-die-energiewende/
„WIR BRAUCHEN FRIEDENSENERGIEN!“ DER KRIEG GEGEN DIE UKRAINE UND DIE ENERGIEWENDE
5. „Tollwood“ München:
„(…)Spätestens bis 2040 muss Bayern klimaneutral sein. Vor dem Hintergrund des Krieges und der Tatsache, dass erneuerbare Energien auch unabhängig von Energieimporten machen, bekommt die Notwendigkeit der Energiewende jetzt aber eine schärfere Kontur. Der Weckruf könnte dramatischer nicht sein: Wir müssen schneller raus aus Kohle, Gas und Öl und unseren Energieverbrauch reduzieren. Das geht nur, mit Energie sparen und einem massiven Ausbau von Energie aus Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme. Sie sind Freiheits- und Friedensenergien, sie sind kostengünstig, sozial, klimafreundlich und unerschöpflich.(…)“
Tollwood explizit zur Windkraft; Einsager ist der Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE); die dortige Propaganda wird ein zu eins übernommen…Agitation gegen 10-H: https://www.tollwood.de/veranstaltungsort/schaltzentrale-windenergie/ :
„(…) „Die Staatsregierung muss die Blockadepolitik aufgeben“, sagt Richard Mergner, Landesvorstand des BUND Naturschutz in Bayern. (…) Die Diskrepanz zwischen Wort und Wirklichkeit, nirgends wird sie deutlicher als beim Thema Windkraft in Bayern. Was wurde im Wahlkampf nicht alles an grünem Fortschritt versprochen. Doch als es ans Eingemachte ging, hieß es: Wir bleiben bei der 10-H-Regel, also Windräder nur dort, wo im Umkreis der zehnfachen Höhe kein Mensch lebt. Was natürlich bedeutet, dass im Freistaat bis auf weiteres kaum ein neues Windrad aufgestellt, und alte nicht erneuert werden können. Das kann so nicht weitergehen. Zusammen mit dem BUND Naturschutz in Bayern und weiteren Umweltorganisationen stellt Tollwood auf dem Winterfestival ein großes Windradmodell und die Staatskanzlei als Schaltzentrale auf. (…)“ Dann folgt ein Abdruck von BWE-Propaganda unter der Überschrift „Wider allen Vorurteilen“…
Warum Erneuerbare Energien keine Friedensenergien sind:
(Nicht nur) Franz Alt, Claudia Kemfert oder Luisa Neubauer irren und führen in die Irre. Sie verdrängen – es ist zu unterstellen: bewusst – die Wirklichkeit: Gerade Frieden mit der Natur wird durch die EE und ihr rücksichtsloses Eindringen in die letzten Naturreste nicht gemacht. Der aus Reihen der EE-Branche seit Jahren gezielt geführte Angriff auf die Rechtsgrundlagen des Natur- und Artenschutzes ist ebenfalls das Gegenteil eines Friedens mit der Natur.
Aber auch Frieden unter den Menschen dienen Erneuerbare Energien kaum eingeschränkt. Auch Menschenrechte sind in Gefahr: Angesichts von begleitender Landnahme, Entwertung wertvoller Landschaft und Zerstörung von Heimat sind EE kein Symbol für Frieden zwischen den Menschen. Sie tragen vielmehr wegen diesen Begleiterscheinungen vielerorts massiv zum Unfrieden bei, bis hinein in vor dem Eindringen friedliche Dorfgemeinschaften. Sie tragen bei zur Vertiefung der Kluft zwischen Stadt und Land (siehe Epple 2021, Windkraftindustrie und Naturschutz, Kap. 4.5).
Die Naturzerstörung im Zuge des Ausbaus der Erneuerbaren Energien ist in erster Linie aber Symbol und Fanal zugleich, dass der Friedensschluss der Menschheit mit der Natur nicht gemacht ist. Im Gegenteil:
- Wasserkraft: von Kleinwasserkraft bis Megastaudammprojekten: Weltweit auf Kosten der Natur
- Energiepflanzen/Biogas: Vermaisung ganzer Landstriche, Intensivierung, daraus resultierender Artenschwund
- Freiflächen-PV: Konfliktkonvergenz auf „landwirtschaftlich uninteressanten“ Flächen, die für die Natur umso wichtiger sind: z.B. Südhang-Trockenrasen, Niedermoorflächen
- Windkraft: Alle Facetten der Naturzerstörung und des direkten Tötens von Wildtieren
Ausgewählte Konkretisierungen des Konfliktes EE gegen die Natur (on oben nach unten wie in der Aufzählung):
Energiepflanzen/Biogas:
Freiflächen-PV:
Dass der Begriff „Friedensenergie“ nun medial unterstützt kursiert, dass er ohne Hereinnahme der Natur unkritisch nachgesprochen und speziell eingeübt wird in den Bündnissen der Guten, ist weiteres Zeichen für die anthropozentrische Engführung im Mainstream der Diskussion von Energiewende und Klimawandel.
Der folgewidrige zusätzliche Skandal des törichten Neusprechs von den „Friedensenergien“: Wie im Begriff „Freiheitsenergien“ werden die Gräuel des Kriegs in unvertretbarer Weise für eigene Vorteile und den gleichermaßen Natur wie Menschen verachtenden Durchmarsch einer vorgeblich die Welt rettenden Industriebranche benutzt.
Die Natur indes scheint für Energiewendeprofiteure, Klima-Aktivisten und etliche Journalisten zunehmend aus dem Blickfeld zu geraten. Zur Auslieferung der (bayerischen) Staatswälder durch die dortigen Staatsforste an die Windkraft formulierte am 06. April 2022 Karin Finkenzeller in der „WirtschaftsWoche“: „(…)Grundsätzlich eine nachvollziehbare Idee, sind Forste doch schließlich ein Wirtschafts- und kein Naturgut.“ .(…).“ Kein Wunder – eine solchermaßen mit journalistischem Überflug aufgeklärte Öffentlichkeit dürfte (fast) ausnahmslos und anstandslos auch die „Friedensenergien“ als unwiderrufliche Errungenschaft goutieren.
Quellen (nach Reihenfolge im Text):
- https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?p=5546
- https://naturschutz-initiative.de/neuigkeiten/1217-07-04-2022-schwaechung-des-naturschutzes-von-historischer-tragweite
- https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?p=5662
- https://chrismon.evangelisch.de/blogs/alt-ernativ/franz-alt-erneuerbare-energien-sind-friedensenergien
- https://www.evangelisch.de/inhalte/199073/26-03-2022/energieoekonomin-eneuerbare-energien-sind-friedensenergie
- https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/nachrichten/aktivistin-neubauer-erneuerbare-energien-sind-friedensenergien-81420.html
- https://blog.misereor.de/2022/03/17/wir-brauchen-friedensenergien-der-krieg-gegen-die-ukraine-und-die-energiewende/
- https://www.tollwood.de/motto/
- https://www.tollwood.de/veranstaltungsort/schaltzentrale-windenergie/
- https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?page_id=4801
- https://www.naturschutz-initiative.de/geschenke/denkschrift-windkraftindustrie-und-naturschutz-sind-nicht-vereinbar
- Epple, W. (2021). Windkraftindustrie und Naturschutz. Windkraft-Naturschutz-Ethik. Eine Studie für die Naturschutzinitiative e.V. (NI), 544 Seiten. Verlag BoD – Books on Demand, Norderstedt.
- https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?page_id=4801
- https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?page_id=2772
- https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?page_id=86
- https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?page_id=518
- https://naturschutz-initiative.de/images/PDF2022/2022-02-10-Moralischer-Fortschritt-WE.pdf
- https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?page_id=4447
- https://www.wiwo.de/my/politik/deutschland/habecks-osterpaket-zur-energiewende-windkraft-ausbau-der-wald-ist-die-loesung-nicht/28098974.html?ticket=ST-958026-dTBV5Z7Prftp5L59hxiW-ap5