November 21, 2024

Erneuerbare Energien sind keine „Friedensenergien“

Ein Zwischenruf

Von Wolfgang Epple

Ein neuer Energiewende-Narrativ entsteht im Schatten und unter fragwürdigem Missbrauch des Krieges in der Ukraine. Es ist die Steigerung der Verlogenheit des Neusprechs „Freiheitsenergien„.

Nach dem von FDP-Finanzminister Christian Lindner in Verkennung und Ausblendung aller Realität in die Welt gesetzten Begriff „Freiheitsenergien“ werden die Erneuerbaren Energien von ihren Verfechtern im Zuge der verwerflichen Vermengung von Ukraine-Krieg und Energiewende neuerdings mit einem zusätzlichen Etikett behängt: „Friedensenergien“. Erneuerbare sollen demnach nicht nur Energie-unabhängig vom russischen Gas machen, indem zukünftig per Fracking gewonnenes und über den Ozean geschippertes LNG (Flüssiggas) aus den USA zu enormen (Klima-)Preisen den schönen Schein des deutsch initiierten Weltrettung-Sonderwegs bewahren soll („Freiheit“ nach der Neudefinition der Ampel, der Erneuerbaren-Branche und ihrer Vorfeldorganisationen). Erneuerbare tragen in der Kaskade aus Vermengung von Krieg, Energiewende und Freiheit nun unmittelbar zum Frieden bei – so wird uns verkündet. Zynisch und blasphemisch zugleich wirkt diese Erhebung zu „Friedensenergien“ gerade in Kirchen-nahen Foren für eine Branche, die  – insbesondere durch die Bemühungen der Windkraftindustrie – dem Landschafts- Natur- und Artenschutz förmlich den Krieg erklärt hat, und mit der Ampel-Koalition nun willfährige politische Vollstrecker gefunden hat (siehe „Eckpunktepapier“ und Habecks „Osterpaket“).

Wer formuliert diesen zynischen Neusprech, wer verantwortet die Steigerung der Verlogenheit des Begriffs „Freiheitsenergien“?

Urheber und Benutzer des Neusprechs „Friedensenergie“, eine Auswahl

Es sind die bekannten EE-Protagonisten und Einpeitscher, aber eben nicht nur: Die Kirchen, seit Jahren unkritisch auf Seiten des ökoindustriellen Komplexes und an den finanziellen Gewinnen z.B. durch Verpachtung von Land beteiligt, werden ein weiteres Mal mitschuldig an der Zerstörung von Natur. Fünf einschlägige Quellen seien herausgegriffen:

  1. Franz Alt (12.März 2022) bei „Chrismon Das evangelische Magazin“:

https://chrismon.evangelisch.de/blogs/alt-ernativ/franz-alt-erneuerbare-energien-sind-friedensenergien

„(…) Denn wahr ist: Nur erneuerbare Energien sind „Freiheitsenergien“ (Christian Lindner), aber sie sind auch Friedensenergien. 

Um fossile Rohstoffe wurden und werden seit über hundert Jahren Kriege geführt, um Sonne und Wind kann kein Potentat dieser Erde einen Krieg führen. Die Sonne hat einen Sicherheitsabstand zur Erde von 150 Millionen Kilometer. Unerreichbar auch für Wladimir Putin. Das hat die Natur oder die Evolution oder Gott klug und gut gemacht.(…) Frieden mit der Natur ist möglich (…)Voraussetzung ist freilich die rasche Umstellung auf hundert Prozent erneuerbare Energie. Die genannten Sofortmaßnahmen sind dafür eine richtige und wichtige Hilfestellung. Kein Frieden in der Welt ohne Frieden mit der Natur. (…) Besonders erfreulich ist, dass sämtliche notwendigen neuen Technologien vorhanden und erprobt sind.(…)“

2. Claudia Kemfert (26.März 2022) bei „evangelisch.de“:

https://www.evangelisch.de/inhalte/199073/26-03-2022/energieoekonomin-eneuerbare-energien-sind-friedensenergie

(…)Auch Forderungen nach einer Änderung oder einem Aufschub des Atomausstiegs erteilte Kempfert, die auch Professorin an der Leuphana Universität in Lüneburg und stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen ist, eine Absage. Stattdessen sollten die Erneuerbaren Energien viel schneller ausgebaut werden, forderte sie. „Je schneller wir da vorwärtskommen, je schneller wir auch einen Booster starten für einen Ausbau der Windenergie, für Solarpflicht auf den Dächern, für den Umbau hin zu mehr Flexibilität auch in der Kopplung mit Elektromobilität und Wärmepumpen von Gebäuden, desto besser.“ Nötig sei, Flächen für die Windenergie auszuweisen, Genehmigungsverfahren zu erleichtern und die finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten für die Kommunen zu verbessern. „Und da brauchen wir ganz viel Ambitionen und ganz viele Schritte, dass das sehr viel schneller gelingt“, sagte die Energieökonomin. Für den Klimaschutz sei die Kombination von einem Ausbau der Erneuerbaren Energien mit Energiesparen zentral.

Erneuerbare Energien sind Friedensenergie“, betonte die Professorin. „Wir müssen raus aus diesem fossilen Energiekrieg.“ Die Auseinandersetzungen mit Russland aufgrund des Ukraine-Kriegs seien nicht die ersten und einzigen dieser Art. Die Energiewende sei „das beste Friedensprojekt, was wir weltweit haben“. (Fette Hervorhebung WE)

3. Fridays for Future (Luisa Neubauer, 01. März 2022):

https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/nachrichten/aktivistin-neubauer-erneuerbare-energien-sind-friedensenergien-81420.html

„Frieden und Sicherheit und Souveränität kann es nicht geben solange wir von fossilen Energien abhängen.“ Kaum ein Land auf der Welt sei vor den Klimagefahren wie Dürren, Hitze, Fluten und Stürme ausreichend geschützt, sagte Neubauer. „Die fossilen Systeme hinter den Krisen und Katastrophen dieser Welt sind nicht mehr tragbar. Wir haben Alternativen, nutzten wir sie. Erneuerbare Energien sind nicht nur Freiheitsenergien – sie sind Friedensenergien.“

4. Misereor (Madelaine Wörner, 17.März 2022):

https://blog.misereor.de/2022/03/17/wir-brauchen-friedensenergien-der-krieg-gegen-die-ukraine-und-die-energiewende/

„WIR BRAUCHEN FRIEDENSENERGIEN!“ DER KRIEG GEGEN DIE UKRAINE UND DIE ENERGIEWENDE

Finanzminister Christian Lindner bezeichnet erneuerbare Energien aus Solar, Wasser und Wind gar als „Freiheitsenergien“. Was für ein Durchbruch im dunklen Schatten dieses Krieges. Doch Moment — „Freiheitsenergie“?(…) Genau genommen benötigen wir Energien, die über Freiheit und Sicherheit hinausgehen und die allen Menschen auf diesem Planeten ein würdevolles Leben ermöglichen – mit ausreichend Zugang zu Energie. Wäre es da nicht passender, von Friedensenergien zu sprechen? Was können wir darunter verstehen?…(Hervorhebung des Wortes im Original kursiv).

5. „Tollwood“ München:

„(…)Spätestens bis 2040 muss Bayern klimaneutral sein. Vor dem Hintergrund des Krieges und der Tatsache, dass erneuerbare Energien auch unabhängig von Energieimporten machen, bekommt die Notwendigkeit der Energiewende jetzt aber eine schärfere Kontur. Der Weckruf könnte dramatischer nicht sein: Wir müssen schneller raus aus Kohle, Gas und Öl und unseren Energieverbrauch reduzieren. Das geht nur, mit Energie sparen und einem massiven Ausbau von Energie aus Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme. Sie sind Freiheits- und Friedensenergien, sie sind kostengünstig, sozial, klimafreundlich und unerschöpflich.(…)“

Tollwood explizit zur Windkraft; Einsager ist der Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE); die dortige Propaganda  wird ein zu eins übernommen…Agitation gegen 10-H: https://www.tollwood.de/veranstaltungsort/schaltzentrale-windenergie/ :

„(…) „Die Staatsregierung muss die Blockadepolitik aufgeben“, sagt Richard Mergner, Landesvorstand des BUND Naturschutz in Bayern. (…) Die Diskrepanz zwischen Wort und Wirklichkeit, nirgends wird sie deutlicher als beim Thema Windkraft in Bayern. Was wurde im Wahlkampf nicht alles an grünem Fortschritt versprochen. Doch als es ans Eingemachte ging, hieß es: Wir bleiben bei der 10-H-Regel, also Windräder nur dort, wo im Umkreis der zehnfachen Höhe kein Mensch lebt. Was natürlich bedeutet, dass im Freistaat bis auf weiteres kaum ein neues Windrad aufgestellt, und alte nicht erneuert werden können. Das kann so nicht weitergehen. Zusammen mit dem BUND Naturschutz in Bayern und weiteren Umweltorganisationen stellt Tollwood auf dem Winterfestival ein großes Windradmodell und die Staatskanzlei als Schaltzentrale auf. (…)“ Dann folgt ein Abdruck von BWE-Propaganda unter der Überschrift „Wider allen Vorurteilen“

Warum Erneuerbare Energien keine Friedensenergien sind:

(Nicht nur) Franz Alt, Claudia Kemfert oder Luisa Neubauer irren und führen in die Irre. Sie verdrängen – es ist zu unterstellen: bewusst – die Wirklichkeit: Gerade Frieden mit der Natur wird durch die EE und ihr rücksichtsloses Eindringen in die letzten Naturreste nicht gemacht. Der aus Reihen der EE-Branche seit Jahren gezielt geführte Angriff auf die Rechtsgrundlagen des Natur- und Artenschutzes ist ebenfalls das Gegenteil eines Friedens mit der Natur.

Aber auch Frieden unter den Menschen dienen Erneuerbare Energien kaum eingeschränkt. Auch Menschenrechte sind in Gefahr: Angesichts von begleitender Landnahme, Entwertung wertvoller Landschaft und Zerstörung von Heimat sind EE kein Symbol für Frieden zwischen den Menschen. Sie tragen vielmehr wegen diesen Begleiterscheinungen vielerorts massiv zum Unfrieden bei, bis hinein in vor dem Eindringen friedliche Dorfgemeinschaften. Sie tragen bei zur Vertiefung der Kluft zwischen Stadt und Land (siehe Epple 2021, Windkraftindustrie und Naturschutz, Kap. 4.5).

Die Naturzerstörung im Zuge des Ausbaus der Erneuerbaren Energien ist in erster Linie aber Symbol und Fanal zugleich, dass der Friedensschluss der Menschheit mit der Natur nicht gemacht ist. Im Gegenteil:

Mit dem enormen Flächenanspruch und massiven Eingriffen der Erneuerbaren Energien hat sich der Krieg gegen die Natur aufs Massivste verstärkt.

Ausgewählte Konkretisierungen des Konfliktes EE gegen die Natur (on oben nach unten wie in der Aufzählung):

Wasserkraft:

Wasserkraft, Beispiel Europa: Wir stehen vor dem Ende frei fließender Flüsse in Europa und vor einem Kollaps der Artenvielfalt, wenn wir diesen Wasserkraftwahn nicht aufhalten.(…)“ (Ulrich Eichelmann von Riverwatch, 2019). die höchste Dichte an bestehenden Wasserkraftanlagen hat übrigens Deutschland. Was in ganz Europa droht, markieren die roten Punkte in der Karte.

Energiepflanzen/Biogas:

Energiepflanzen/Biogas: In vielen ehemals vielseitig genutzten Landschaften dominiert inzwischen der Maisanbau. Zahlen des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft: Waren es 1960 in Deutschland West gerade einmal 56.000 Hektar, gab es im Jahr 2000 in Gesamtdeutschland bereits 1.516.000 Hektar Anbaufläche. Im Jahr 2021 wurde bereits auf 2.650.000 Hektar Mais angebaut. Wörtlich schreibt dazu das Informationszentrum: „Während Mais in vielen weniger entwickelten Ländern ein wichtiges Nahrungsmittel ist, dient die Pflanze in Deutschland nahezu ausschließlich als Tierfutter oder als Substrat für die Erzeugung von Strom in Biogasanlagen.“ Die Energiewende trägt substanziell zur Verarmung und Monotonisierung der Ackerfluten und damit zum Verlust an Artenreichtum und Biodoviersität bei. Foto: Kevin Lindemann, Pixabay

Freiflächen-PV:

Freiflächen-PV auf Kosten der Natur, Beispiel Baden-Württemberg: Original-Legende aus dem „Energieatlas Baden-Württemberg (Screenshot 27.04.2022): Die Karte zeigt die Freiflächen in Baden-Württemberg, die theoretisch für Photovoltaiknutzung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG und der Freiflächenöffnungsverordnung – FFÖ-VO geeignet sind. Der Datensatz wurde im Rahmen des Energieatlas Baden-Württemberg erstellt.Das UM-Baden-Württemberg wörtlich: „Mit der Verabschiedung der Freiflächenöffnungsverordnung – FFÖ-VO am 7. März 2017 hat das Land Baden-Württemberg von einer Länderöffnungsklausel der EEG-Novelle 2017 Gebrauch gemacht und damit die Flächenkulisse für Solarparks um sogenannte „benachteiligte Gebiete“ (Zur Übersichtskarte benachteiligte Gebiete Baden-Württemberg) auf Acker- und Grünlandflächen erweitert.“ In sogenannten „benachteiligten Gebieten“ ist häufig der Reichtum an Natur noch groß…der Konflikt ist vorgezeichnet. Es geht am Ende um viele Tausende Hektare Natur, die allein in diesem Bundesland unter PV gelangen könnten.

Windkraft:

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Bildschirmfoto-2022-03-07-um-10.37.29-1024x847.png
Windkraft: Das Eindringen der Windkraft in vorher industriell wenig belastete Gegenden bedeutet (nicht nur ästhetische) Entwertung von Natur, Wald und Landschaft mit zusätzlicher gesundheitlicher Belastung der betroffenen Menschen. Ein Beispiel unter Tausenden in Deutschland; hier: Mittlerer Schwarzwald. Screenshot 07.03.2022: Die Schlagzeile eines Berichtes des „Schwarzwälder Boten“ zum auf Kosten gesunder und gut gepflegter Wälder entstandenen Windindustriegebiet „Falkenhöhe“ zwischen Lauterbach und Hornberg. Betroffen sind einige der schönsten Hof-Lagen der dortigen Vorzugslandschaft in der Nähe des bekannten „Fohrenbühl“. Die Gegend ist Heimat der Tracht des für den Schwarzwald bekannten „Bollenhuts“ der Frauen.

Dass der Begriff „Friedensenergie“ nun medial unterstützt kursiert, dass er ohne Hereinnahme der Natur unkritisch nachgesprochen und speziell eingeübt wird in den Bündnissen der Guten, ist weiteres Zeichen für die anthropozentrische Engführung im Mainstream der Diskussion von Energiewende und Klimawandel.

Der folgewidrige zusätzliche Skandal des törichten Neusprechs von den „Friedensenergien“: Wie im Begriff „Freiheitsenergien“ werden die Gräuel des Kriegs in unvertretbarer Weise für eigene Vorteile und den gleichermaßen Natur wie Menschen verachtenden Durchmarsch einer vorgeblich die Welt rettenden Industriebranche benutzt.

Die Natur indes scheint für Energiewendeprofiteure, Klima-Aktivisten und etliche Journalisten zunehmend aus dem Blickfeld zu geraten. Zur Auslieferung der (bayerischen) Staatswälder durch die dortigen Staatsforste an die Windkraft formulierte am 06. April 2022 Karin Finkenzeller in der „WirtschaftsWoche“: „(…)Grundsätzlich eine nachvollziehbare Idee, sind Forste doch schließlich ein Wirtschafts- und kein Naturgut.“ .(…).“ Kein Wunder – eine solchermaßen mit journalistischem Überflug aufgeklärte Öffentlichkeit dürfte (fast) ausnahmslos und anstandslos auch die „Friedensenergien“ als unwiderrufliche Errungenschaft goutieren.

Quellen (nach Reihenfolge im Text):