Das Beitragsfoto zeigt eine Windkraftindustrie-Baustelle in Ostfriesland. Foto: Eilert Voß. Im Neusprech der Windkraftbetreiber und des NABU: „Naturverträgliche“ Veränderung des für Vogelzug und Artenschutz wertvollen küstennahen Horizontes und Landstrichs. In Wirklichkeit: Nicht bezifferbarer Verlust für Natur und Landschaft.
Mit dem Begriff „Vogelfrieden“ preschte die offenbar vorab gut informierte, stets windkraftaffine „Süddeutsche Zeitung“ am 05. Dezember 2020 vor. Wörtlich heißt die Schlagzeile bei der „Süddeutschen“:
“ Energiewende: Grüne und Nabu schließen Vogelfrieden
Umweltverbände klagen seit Jahren fleißig gegen Windräder – zum Schutz der Vögel. Jetzt lenkt der Nabu dem Klimaschutz zuliebe ein.“
Das steckt hinter dieser vorgeblichen Sensationsmeldung:
Das Papier ist ganz im Gegenteil zur großspurigen Selbstbelobigung und Selbstüberschätzung der Beteiligten und Urheber keine Grundlage für einen „Frieden“ der Windkraftindustrie mit der Natur.
„Es ist eher der Abschied des einstigen Vogelschutzverbandes vom Natur- und Artenschutz„, wie die Naturschutzinitiative e.V. in ihrer Stellungnahme vom 09. 12 2020 feststellt. Es stellt sich die Frage:
„Verabschiedet sich der NABU vom Natur- und Artenschutz?“
Die NI e.V. berichtet weiter:
„Mehrere NABU-Gruppen kritisieren den NABU Bundesverband und seinen Präsidenten Krüger
Als Wissenschaftlicher Beirat der Naturschutzinitiative e.V. habe ich einen Kommentar verfasst, den ich hier für meine Leser noch einmal ungekürzt einstelle:
NABU und Bündnis 90/Die Grünen stellen gemeinsames Strategiepapier zur Beschleunigung des angeblich „naturverträglichen“ Ausbaus der Windenergie vor (Verlautbarung vom 05.12.2020)
von Dr. Wolfgang Epple
Wissenschaftlicher Beirat der Naturschutzinitiative e.V. (NI)
Vorbemerkungen:
- „Klima- und Artenkrise zusammen denken und lösen“
Hier klingt auf der Homepage des NABU bereits der bekannte Sprachgebrauch des GRÜNEN-Vorsitzenden Habeck (https://www.nabu.de/news/2020/12/29061.html). - Besetzung des Triumvirats
Robert Habeck, Oliver Krischer (beide GRÜNE) und Jörg-Andreas Krüger (in Unterzahl: der NABU, aber immerhin „Federführung“). Erinnert sei hier an die öffentliche Hetze des Oliver Krischer gegen „Windkraft-Taliban“, was ihn offenbar besonders zur Ausarbeitung einer „naturverträglichen“ Windkraft-Strategie qualifiziert. (https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/wirtschaft_nt/article203631954/Erbitterter- Streit-Politik-fuer-Anti-Windkraft-Taliban.html 19.11.2019). - „Zur Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie haben sich der NABU und die Grünen auf Maßnahmen geeinigt und diese in einem gemeinsamen Papier abgestimmt“Es darf gefragt werden: Wofür ist diese Besetzung im politischen Rahmen eigentlich zuständig? Welchen Anlass sieht der NABU, speziell mit Bündnis90/die GRÜNEN einen „Einigungsprozess“ zu führen?
- Die Player: Erstens: Eine Partei mit Rückhalt bei ungefähr einem Fünftel der Wähler, und diese überwiegend beim naturfernen und von Auswirkungen der Windkraftindustrie nicht betroffenen Publikum der Großstädte. Zweitens: Deutschlands nach eigenen Angaben größter Umwelt- Verband mit ca. „770.000 Mitgliedern und Fördernden“. Steht dieser nun in den Diensten nur einer Partei, der Partei Bündnis 90/die Grünen? Drittens: Die umgehende Zustimmung des Bundesverband Windenergie (BWE) unmittelbar nach Veröffentlichung des Maßnahmenkatalogs.*
- „Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der NABU ist überparteilich“ heißt es in dessen Selbstdarstellung (https://www.nabu.de/wir-ueber-uns/was-wir- tun/00359.html). Hierzu sind seit geraumer Zeit Zweifel angebracht. Was offenbart der „mehrmonatige Prozess“ des Entstehens eines Papiers, das weitestgehend die Sprache einer Partei und die der Windkraftindustrie spricht? Ist es Kalkül, die anderen Parteien zu ignorieren, weil man weiß, dass diese längst im grünen Fahrwasser keine eigene Bugwelle mehr erzeugen, wenn es um Energiewende und Windkraft geht?
- Anmerkungen zu den einzelnen Maßnahmenvorschlägen Grüne/NABU vom 5. Dezember 2020:
- Eine Überraschung und wirklich neu ist dieses Papier nicht. Schon die gemeinsame Pressemitteilung samt Thesenpapier zusammen mit BUND, DUH, Germanwatch, Greenpeace, WWF und dem Umweltdachverband DNR vom 30.Januar 2020 (https://www.nabu.de/news/2020/01/27553.html) gab die Richtung vor.
- „Strommengenbezogene Ausbauziele“ mit dem Ziel „Artenschutzrechtlicher Ausnahmegrund öffentliche Sicherheit“: Hier spricht eindeutig und ausschließlich die Begehrlichkeit der Windkraftindustrie mit erkennbarem Kollisionskurs gegen höherrangiges Europarecht (Vogelschutz-RL). Verräterisch für den Bezug auf die Begehrlichkeiten der Windkraftindustrie ist darüber hinaus der Hinweis auf „ausgewogene Energieversorgung“, wobei in jedem Bundesland ein Mindestanteil an Windstrom enthalten sein muss…
- Die Überschrift kaschiert kaum die Übernahme bekannter Ansätze des gegen Bürgerrechte und Natur gerichteten Arbeitsplanes des BMWi zur Beschleunigung des Windkraftausbaus. Der immer wieder nachgesprochene Hinweis darauf, dass 2 % der Landesfläche als Vorrangflächen genügen, ist durch die Forderung der Windlobby nach Ver-X-fachung von Windkraft an Land und offshore mehr als überholt und daher eine grobe Irreführung. Allen an der Entstehung des Papiers Beteiligten dürfte bekannt sein, dass die Planungen im Rahmen der Energiewende in Verbindung mit der sogenannten Nationalen Wasserstoffstrategie, Sektorkopplung, Elektromobilität und Power-to-X auf völlig andere Dimensionen des Zubaus der Windkraft hinauslaufen.Schon jetzt werden in Vorranggebieten der Natur höhere Prozentanteile der Fläche für Windkraft avisiert. Beispiel: Odenwald. Die Übernahme des „Dichtezentrenansatzes“ bei gleichzeitiger Preisgabe des Artenschutzes außerhalb der Dichtezentren weist auf Unkenntnis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Anforderungen an fundierten Artenschutz hin (Stichworte: Biotopvernetzung, Vermeidung der Zersplitterung von Verbreitung und Arealen, evolutionäre Anpassung von Arten an den Klimawandel gerade im Randbereich der Merkmalsverteilung usw.). In der Konsequenz bedeutet dies eine zentrale Schwächung des Naturschutzes, die offenbar von den Verfassern gewollt ist oder doch mindestens in Kauf genommen wird.
- Die vorgebliche Stärkung der Regionalplanung und das Ausschalten der Gemeinde- und Kreisebene ist ein Angriff auf das Prinzip der Subsidiarität in unserem Rechtsstaat. Heilbarkeit von „Formfehlern“ und „Planerhalt“ sind darauf ausgerichtet, die bisher schon vielfach rechtsfehlerhaften und mit fachlichen Fehlern behafteten Genehmigungsverfahren für Windkraftindustrie aus der dringend notwendigen rechtsstaatlichen Prüfung vollends zu entlassen. Die „Stichtags“-Regelung zeigt die klare Absicht, den Artenschutz zu schwächen: Sie soll den typischen Mangel eines fachgerechten Umgangs mit der Dynamik von Naturvorgängen, der das gesamte Eingriffshandeln der Windkraftindustrie schon jetzt kennzeichnet, zementieren und zielt insbesondere darauf, zusätzliche Erkenntnisse von Dritten, die erst nach Bekanntwerden von Eingriffsplanungen erhoben werden können, möglichst nicht zu zulassen.
- „Vereinheitlichung des Maßstabes für das Tötungsrisiko“: Die dortigen Formulierungen bedeuten im Klartext den Versuch, den EU-rechtlich verankerten Schutz von Individuen besonders geschützter Arten endgültig durch das Abheben auf die Populationsebene auszuhebeln. Das geltende höherrangige Recht sieht keine „Schwellenwerte“ für angeblich unschädliches Töten von Wildtieren vor. Diese können nicht ohne weiteres fachlich begründet werden, wie suggeriert wird. Die Formulierung von NABU und Grünen ist eine 1:1-Umsetzung der Ziele der Windkraftlobby. In dieselbe Richtung geht:
- Der erneut zitierte Dichtezentrenansatz. Dieser ist fachlich nicht haltbar und rechtlich nicht konsistent und bedeutet schon jetzt, dass mit dieser Argumentation außerhalb von „Dichtezentren“ der Schutz von gesetzlich geschützten Arten faktisch abgeschafft wird. Zusätzlicher Beleg für die Untauglichkeit: Die bereits angewandte Dichtezentrenregelung wurde von der Baden-Württembergischen Landesregierung durch politische Vorgaben als Fiktion ad absurdum geführt, indem nach fachlich unhaltbarer Interpretation von Bestandsentwicklungen (konkret beim Rotmilan) durch ministeriellen Federstrich die Anforderungen ohne fachwissenschaftliche Fundierung an die Begehrlichkeiten der Windkraftindustrie angepasst wurden.
- Der Hinweis auf „verursacherfinanzierte“ Ausgleichmaßnahmen ist von der Realität bereits überholt, da die Bundesregierung erkennbar der Forderung der Windkraftindustrie nachkommen will, naturschädigende Eingriffe im Rahmen des „Klimaschutzes“ von den Ausgleichspflichten nach Naturschutzrecht freizustellen. Dies dürfte den Verfassern des Papiers bekannt sein. Der erneute Hinweis auf Populationsbezug heilt nicht das erkennbare Ziel, außerhalb von Dichtezentren flächendeckend den Schutz von Arten abzuschaffen. Die Vorstellung des Aufwiegens von Schäden durch „räumlich konzentrierte Einzelvorhaben“ der Windkraftindustrie durch „Schaffung größerer… wertvollerer Gebiete“ kann in den Bereich von Wunschdenken und Utopie verwiesen werden. Überall, wo Windkraftindustrie in die letzten naturnahen Gebiete invadiert, treten genau gegenteilige Folgen ein: Die Entwertung bisher großer, zusammenhängend wertvoller Gebiete. Die übrigen Punkte
- und 8. des Papiers können zusammengefasst werden unter dem erkennbaren Gesamtziel des Papiers: Ermöglichung von Windkraftindustrie in möglichst durch den Naturschutz unbehindertem Rahmen.
Fazit:
Das Papier ist keine Grundlage für einen „Frieden“ der Windkraftindustrie mit der Natur. Es ist eher der Abschied des einstigen Vogelschutzverbandes vom Natur- und Artenschutz.
Windkraftindustrie kann nicht „naturverträglich“ ausgebaut werden. Sowohl den Schutz großräumiger naturnaher Landschaften als auch den fachlich fundierten und rechtlich durch EU-Recht flankierten Artenschutz hat der NABU mit der Übernahme von grüner Parteiprogrammatik und mit der Unterwerfung unter die Forderungen der Windkraftlobby aufgegeben.
Soweit mein Kommentar für die NI e.V.
*Die Wortwahl des BWE-Präsidenten Hermann Albers in der Jubel-Mitteilung vom 07.12.2020 zur Unterwerfung des NABU unter die Ziele der Windkraftindustrie offenbart erschreckende Hetze, und benutzt den in Deutschland sattsam bekannten und angewandten Kunstgriff von diffuser Gleichsetzung (siehe Epple 2017) im Rahmen der Diffamierung von Kritikern und Andersdenkenden: „Viel zu lange wurde hingenommen, dass die Gegner der Energiewende den Natur- und Artenschutz missbrauchen. Zu oft verleiben sich Klimaleugner den Natur- und Artenschutz, aber auch die Sorge um den deutschen Wald, ein. Dieser Aneignung muss deutlich widersprochen werden. Das am Wochenende veröffentlichte Papier wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Die Vorschläge des NABU und der Grünen setzen den richtigen Fokus“...Kritik an der Zerstörung von Naturwerten durch Windkraftindustrie ist in diesem primitiven Abwertung-Jargon gleichzusetzen mit „Klimaleugnen“…
Es ist angesichts der Realität, die samt und sonders bei der Errichtung von Windkraftanlagen in den letzten naturnah verbliebenen Räumen auf Naturschädigung hinaus läuft, nicht nachvollziehbar, dass sich ehemalige Naturschutzverbände wie NABU, BUND, Greenpeace, WWF inzwischen dem Zeitgeist und Mainstream folgend der Windkraftindustrie und ihren Begehrlichkeiten weitgehend unterordnen. Die Rolle als „Anwälte der Natur“ haben sie in diesem Thema schon seit dem 30. Januar 2020 endgültig eingebüßt. Zur Fiktion „naturverträglicher Ausbau“ der Windkraft und der Auslieferung des Naturschutzanliegens an die Windkraftindustrie durch die Umweltverbände siehe auf dieser Homepage hier.