November 21, 2024

Schutz von Arten im Interessenkonflikt

Publiziert 2020, Ergänzungen 2023 (u.a. zu Fischotter, Wildschwein)

Beitragsbild: Das Reh steht stellvertretend für die großen Pflanzenfresser, die in unserem durch Nutzendenken geprägten Umgang mit der Natur insbesondere von Seiten der Forstwirtschaft als Waldschädlinge ausgegrenzt werden. Rehe gehören daher wie ihre großen Verwandte, die Rothirsche, und wie die zuwandernden Elche oder neuerdings selbst der Wisent zu den Arten im Interessenkonflikt. Weitere Gedanken und ein klarer Einspruch zur Abstempelung von Pflanzenfressern, gerade der Rehe als „Forstschädlinge“ auf der Seite zu Naturschutz und Wälder. Foto: Wolfgang Epple

Bild: Der Wolf ist unter den großen Säugetieren unserer Heimat das Beispiel par excellence für die Arten, die im Konflikt mit menschlichen Interessen stehen. Foto: Wolfgang Epple.

Dass der Wolf gleich nach einem als „Waldschädling“ gebrandmarkten Wildtier an den Beginn dieser Seite genommen wird, soll Sie als Leser nicht provozieren. Vielmehr soll daran erinnert werden: Der Wolf ist natürlicher Gegenspieler der großen Huftiere Rothirsch, Wildschwein, Reh.

Noch entscheidender für diese Wahl: Der Wolf ist eines der faszinierendsten Wildtiere der Erde überhaupt. Ihn verbindet auf der nördlichen Halbkugel der Erde eine lange, sehr ambivalente gemeinsame Geschichte mit dem Menschen. Der Wolf steht geradezu klassisch als Symbol für die Herausforderung an uns Menschen, gerade mit „unliebsamen“, klugen und anspruchsvollen Wildtieren im Sinne eines Mitseins in der Natur fair umzugehen. Der Wolf könnte durch direkte Verfolgung in Deutschland und in anderen Gebieten der nördlichen Hemisphäre, in die er Jahrzehnte nach der Ausrottung zurückgekehrt ist, sehr wohl wieder ausgerottet werden. Leider gerade in Deutschland wird in einigen Regionen am „Verschwinden“ der Wölfe wieder gearbeitet, nach der Devise der Wolfshasser: Schießen, Schaufeln, Schweigen

Gegenwärtige grobe Situation der Verbreitung des Wolfes auf der nördlichen Hemisphäre. Stand 2018. Grüne Flächen: Wölfe präsent. Rote Flächen: Wölfe ausgerottet.Quelle: Mariomassone – Eigenes Werk, [1], Gemeinfrei, https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf#/media/Datei:Grey_wolf_distribution_with_subdivisions.PNG

Eine aktuelle Verbreitungskarte des Wolfs (und anderer Groß-Karnivoren wie Bär, Luchs, Goldschakal und Vielfraß) für Europa findet sich bei der Large Carnivore Initiative for Europe (LCIE).

In Europa und Nordamerika gleichen sich die Geschichte und die Vorgänge in der Mensch-Wolf-Beziehung: Ausrottung aus vielen angestammten Arealen, beginnendes Umdenken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gelungene Rückkehr in einigen Teilgebieten mit Rückkehr auch der alten Probleme, die sich rund um die Weidetierhaltung und das Konkurrenzdenken einiger Jäger ergeben, und deshalb leider auch Wiederkehr des alten Hasses gegen die Vorfahren unserer Haushunde…

Wolf, Mexikanischer, Tierwelt, Wild, Natur, Hund
Der Mexikanische Wolf steht stellvertretend für den Ausrottungsfeldzug gegen Wölfe in Nordamerika. Die dramatische Ausrottungsgeschichte ähnelt der in Europa. Foto: Steve Felberg, Pixabay. Auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten war der Wolf zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgerottet. Bemühungen zum Erhalt dieser mexikanischen Wolfsunterart, auch durch Aufbau einer Gefangenschafts-Zucht, dauern bis heute an und sind von Rückschlägen insbesondere durch illegale Jagd gekennzeichnet.

Die Kernfrage: Das Existenzrecht der Wildtiere

Letztlich ist das Existenzrecht vieler Wildtierarten der tieferliegende Gegenstand der Mensch-Wildtier-Konflikte (siehe Epple 2019). Und wie sich weltweit zeigt, kommen uns die Wildtiere in einer zunehmend vom Menschen beanspruchten Welt zwangsläufig näher, dies nicht nur im Rahmen der schon immer im Gange befindlichen Kulturfolge vieler Arten.

Es ist keine Frage: Ganzheitlicher Naturschutz und die ihn begründende Ethik verlangt Antworten auf die Fragen, wie wir mit konkurrierenden, „lästigen“, „gefährlichen“, selbst mit uns bedrohenden Spezies umgehen. Der Interessenkonflikt zwischen Mensch und Natur ist so alt wie es Menschen auf der Erde gibt.

Außer Frage steht, dass wir Menschen ein Notwehrrecht haben: Selbstverständlich darf die Menschheit sich gegen Krankheitserreger und Krankheitsüberträger oder Zwischenwirte wehren. „Ausrottungsfeldzüge“ gegen Malaria, Masern, Pest oder Pocken, Zeckenabwehr wegen Borreliose und FSME, Schutz des Getreides gegen das Mutterkorn, Maiszünsler usw. usf…Die Liste von „Schädlingen“ kann kaum vollständig aufgeführt werden. Ebenso gehört zum Notwehrrecht der Schutz von landwirtschaftlichen Kulturen oder Nutztieren.

Aus ethischem Standpunkt des Mitseins mit der Natur aber stehen Mittel und Wege zur Konfliktlösung oder doch mindestens Abmilderung im Focus, die nicht in Gewalt gegen die wehrlose Kreatur münden.

Das gerechte Teilen der Erde mit anderen Spezies ist kein reines Vergnügen und keine Veranstaltung, in der es nur um Barmherzigkeit geht. Denn die Natur ist von sich aus nicht „barmherzig“, sondern sie ist gewissermaßen gegenüber ihren eigenen Werten gleichgültig. Nicht gleichgültig sind die individuellen Lebewesen gegenüber ihrer eigenen Existenz, die durch eine immer deutlichere individuelle Annahme des eigenen Wertes entlang des sich im Laufe der Evolution immer weiter entfaltenden Bewusstseins geprägt ist. Nicht ohne Grund sorgen Tiereltern für ihre Nachkommen, schon eine Ameise versucht bei Berührung zu flüchten, und nicht ohne Grund rennt ein verfolgter Fuchs oder Wolf um sein Leben…Trotz und gerade wegen des vom Menschen erkannten Evolutionsgeschehens auf der Erde ist eine Entwicklung des Menschen hin zur barmherzigen Weltsicht Voraussetzung für ganzheitlichen Naturschutz:

Denn für die Zukunft des Stroms des Lebendigen auf der Erde, der Evolution, hat der wertetheoretisch und verantwortungsethisch sondergestellte Mensch die Schlüssel in der Hand: Es ist die Dichotomie von Macht und Verantwortung.

Rotfuchs. Foto: Wolfgang Epple. Der Fuchs ist kein seltenes Tier, und hat doch im Sinne des hier vertretenen ganzheitlichen Naturschutzes ein individuelles Lebensrecht. Das Bild entstand im Februar 2012 am damaligen Wohnsitz im mittleren Schwarzwald. Füchse sind von Natur aus nacht-und tagaktiv, und sie scheuen die Nähe des Menschen nicht. Dieser Fuchs bezahlte seine Tagaktivität und Unbekümmertheit wenige Tage nach Entstehen des Fotos mit dem Leben: Er gelangte an einem Sonntagvormittag in die Nähe einer Streusiedlung. Die Anwohner verständigten den Jagdpächter, der Schritt zur Tat…Das Tier hatte keine Tollwut…(häufig vorgegebener Abschussgrund, wenn Füchse am Tage auffallen, bis heute).
Rotfuchs. Foto: Eilert Voss. Seine unbestreitbare Schönheit hilft dem Fuchs im Gegensatz zu vielen anderen „schönen“ Wildtieren, mit denen für den Naturschutz geworben wird, offensichtlich nur wenig: Pauschal zu (Jagd-)“Schädlingen“ erklärt, werden jährlich in Deutschland mehr als 400.000 Füchse getötet, und es stellt sich die Frage, welche Begründung angesichts der vielfältigen Rolle des Fuchses in den Lebensgemeinschaften für dieses flächendeckende Massaker hinreicht. Wie beim Schutz der Rabenvögel und bei vielen Singvogelarten ist dies nachdenkenswert: Weshalb sollen nicht seltene Arten eigentlich vor genereller Verfolgung geschützt werden (vgl. Epple 1996)? Warum ist denn das Rotkehlchen geschützt ? Es ist doch sehr häufig! Was spricht dagegen, es auf Leimruten zu fangen, zu töten, und anschließend auf dem Spieß zu braten (früher gängige Praxis auch in Mitteleuropa und bis heute rund ums Mittelmeer)? Wir werden mit diesen Fragen zurückgeworfen auf die Ergründung des grundsätzlichen individuellen Lebensrechtes von Wildtieren, das auch Gegenstand des höherrangigen europäischen Naturschutzrechtes ist.
Ausdrücklich bedeutet der Hinweis auf das individuelle Lebensrecht nicht, dass nicht im Rahmen von wissenschaftlich fundiertem Artenausgleich der Fuchs wie andere Tierarten sehr wohl einem gezielten Management unterliegen kann. Dies aber ist nicht gleichbedeutend mit der Stigmatisierung einer Tierart als „Schädling“ oder gar „Pest“, und kein Freibrief für eine flächendeckende Verfolgung oder generelle Vernichtung der Individuen einer Spezies. Solche Fallkonstellationen gibt es für den Rotfuchs z.B. beim Schutz der Großtrappe, um eine besonders eindrucksvolle Art herauszugreifen, deren Bestandssituation ein Augenmerk auf Prädation, also auf die Beziehung zu den Fressfeinden erfordert.
Die Familie der Marder, zu denen auch die Wiesel, der Fischotter (s.u.), Vielfraß und der Dachs (siehe Foto: Pixabay) gehören, ist in Deutschland nach wie vor einem ökologisch und ethisch fragwürdigen Verfolgungsdruck durch die Jagd ausgesetzt. Jährlich werden in Deutschland ca. 85.000 Dachse, knapp 8000 Baummarder, fast 50.000 Steinmarder, etwa 8000 Iltisse und zwischen 3000 und 4000 „Wiesel“ getötet. Die Jagdstatistik des DJV (Deutscher Jagdverband) unterscheidet nicht zwischen Hermelin und Mauswiesel. Letztlich ist der Hass gegen Beutegreifer leider noch immer ein weit verbreitetes Motiv, nicht nur in der Jägerschaft. Siehe unten den Beitrag zum Fischotter.

Interessen der Menschen kollidieren in vielfältiger Weise mit denen anderer Spezies. Gehen wir im System der Biologie nach der Scala naturae und lassen wir ein, dass „Höherentwicklung“ kein wertender, sondern ein feststellender Begriff ist, wird dennoch klar, dass die Herausforderung des gerechten Teilens der Erde mit anderen Lebewesen am sinnfälligsten durch das „Leitarten/Zielarten-Prinzip“ erklärt werden kann. Vereinfacht gesagt: Schützen wir Leitarten, erfassen wir dabei ganze Lebensgemeinschaften. Zu weiteren Definitionen siehe hier.

Leitarten sind gleichzeitig als „Flaggschiffe“ oft (nicht immer) auch große, auffällige und oft auch „attraktive“ Arten; oft stehen sie auch weit oben oder gar am Ende der Nahrungsketten der Lebensgemeinschaften, die sie repräsentieren, und sie haben als „Schlüsselarten“ entsprechenden Einfluss auf die Lebensgemeinschaften. Daher sind es häufig relativ große Beutegreifer, die für ganze Lebensgemeinschaften stehen, und die in Konflikt mit menschlichen Nutzungsinteressen geraten. Der Schwarzspecht repräsentiert in Deutschland das Altholz, also die Reifephase der Wälder, der Amurtiger repräsentiert die letzten großen zusammenhängenden Waldgebiete der ostsibirischen Taiga, der Bengaltiger ist Flaggschiff für den Artenschutz in Indien, der Jaguar steht in Südamerika für umfassenden Artenschutz…. Leitarten und Zielarten sind für die Naturschutzpraxis von großer Bedeutung, und sie gibt es in allen Bereichen der biologischen Systematik...Das gilt bis hinunter zu den kleinsten Lebensformen. Speziell viel diskutiert werden Leitarten etwa im Bereich der Insekten, die gleichzeitig von enormer Bedeutung für den Naturhaushalt sind.

Direkte und augenfällige Interessenskonflikte erleben die Menschen mit den noch verbliebenen relativ großen Tierarten: Diese Arten haben oft große und spezielle Lebensraumansprüche. Die Menschheit macht vor allen Dingen diesen größeren Tierarten, die häufig schon auf den „Roten Listen“ stehen, und ihren Lebensräumen auf der Erde durch Landnahme und direkte Verfolgung „Konkurrenz“. Je raumgreifender einerseits und/oder je spezieller die Ansprüche der von menschlichem Einfluss und menschlicher Landnahme betroffenen Arten sind, desto größer ist das Konfliktpotenzial, und umso größer die Gefahr des Verdrängens und Ausrottens der Spezies durch den Menschen.

Es eröffnet sich ein riesiges Handlungsfeld unterschiedlichster Anforderungen an den Menschen, wenn wir grundsätzlich entscheiden, dass es auch zukünftig große Säugetierarten, Vogelarten, Reptilien usw. in für eine evolutionäre Zukunft genügend großen Lebensräumen und genügend großer genetischer Vielfalt auf der Erde geben soll.

Die großen und spektakulären Arten sind als Schlüssel- oder Leitarten oft auch Platzhalter für das gesamte angeschlossene Ökosystem, von dem sie abhängen, in dem sie ihre Habitate besetzen.

Ich vertrete hier im Rahmen eines ganzheitlichen Naturschutzes einen Ansatz, der im jeweiligen Einzelfall und im Gesamten fordert, dass wir Menschen zu Gunsten anderer Arten und für eine gerechte Teilung des Planeten Verzicht und Zügelung unserer Aktivitäten lernen müssen. Die Frage der gerechten Teilung der Erde bezieht eine angemessene Lösung von Konflikten mit ein, die in aller Regel unblutig sein kann, und die Tötung („Entnahme“) als ultima ratio vorsieht.

Die Frage ist: Betreiben wir eine Front in einem Krieg gegen die Natur, oder können wir uns einer andere Form des Miteinanders, des Mitseins mit der außermenschlichen Natur nähern?

Gerade dann, wenn die Lebensansprüche der Arten mit Interessen des Menschen kollidieren, entsteht die Nagelprobe für den ganzheitlichen Naturschutz. Geschontes Leben, offenbartes Leben…

Viele Arten im Interessenkonflikt sind bis heute trotz „gestiegenem Umweltbewusstsein“ und inmitten eines „grünen“ Zeitgeistes weiterhin Gegenstand von Hass und sowohl legaler (gleichwohl illegitimer) oder illegaler Verfolgung. In Deutschland betrifft dies Arten wie Luchs und Wolf, und noch immer sind Greifvögel im Brennpunkt und Gegenstand von Hass und Verfolgung.

Nicht nur Gift, Abschuss, Fällen von Horstbäumen sind Methoden der Verfolgung von Greifvögeln. Dieser Habicht geriet an einer Hühnerhaltung in eine Falle und musste kläglich mit zertrümmerten Fängen in einem tagelangen Todeskampf verenden. Foto: Wolfgang Epple. Laut der Erfassungs und Dokumentationsstelle Greifvogelverfolgung und Artenschutzkriminalität ist die Greifvogelverfolgung insbesondere in Nordrhein-Westfalen (NRW), Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern bis heute an der Tagesordnung.

Prädation – die Erbeutung eines Individuums einer Spezies durch ein oder mehrere Individuen einer Beutegreifer-Spezies ist wesentlicher Teil des Evolutionsgeschehens. Eine völlig fehlgehende moralische Wertung der Vorgänge in der Natur hat den großen, sichtbaren Beutegreifern die Rolle des Bösen (Stichworte: Wolf frisst Hirschkalb, Elster erbeutet andere Singvögel…) und Schädlings zugewiesen.
Dieses Turmfalken-Weibchen hat mit der Erbeutung eines kleinen Nagers nicht mehr und nicht weniger als seine „Rolle“ im Ganzen des Ökosystems erfolgreich ausgefüllt. Im Gegensatz zur sinnlosen, existenziell nicht notwendigen Tötung anderer Spezies durch den Menschen ist für den Tötungsakt in der Natur kein moralischer Maßstab anwendbar. Foto: Brita Heck

Im Folgenden werden einige Arten oder Artengruppen herausgegriffen, die uns im Konflikt mit menschlichen Interessen begegnen. Es wird sich zeigen, dass und wie menschliche Maximalforderungen mit dem ganzheitlichen Naturschutz kollidieren, und dass uns diese Konflikte immer wieder auf die Ethik zurückverweisen: Was ist uns Menschen erlaubt im Umgang mit dem Leben? Wie können wir das Leben auch unliebsamer, ja selbst „gefährlicher“ Arten, etwa großer Raubtiere oder Pflanzenfresser schonen? Respektieren wir ihr Lebensrecht?

Arten im Interessenkonflikt: Weltweit ein bunter Strauß…

Hier sei die auf der Erde derzeit noch am weitesten verbreitete Großkatze herausgegriffen, als Beispiel für den weltweiten, in diesem Falle gut dokumentierten Sinkflug der Wildtiere:

Der Leopard – Verschwinden weltweit, auf leisen Sohlen

Hier soll als erste Art eine der bis heute noch immer am weitesten verbreiteten Großkatzen der Erde Berücksichtigung finden. Die noch weite Verbreitung des Leopards und die gleichzeitig vielfältigen Tendenzen zum Rückgang und lokalen Aussterben/lokaler Ausrottung zeigen beispielhaft die ganze Dramatik um die Zukunft großer Wildtiere der Erde, wie ein Übersichtsstudie von Andrew P. Jacobson et al aus dem Jahre 2016 eindringlich offenlegt.

Wo der Leopard noch vorkommt, gerät er bei Berührung mit Nutzung der Natur durch den Menschen fast immer in Konflikt: Er ist lokal eine Bedrohung für die „Nutztiere“, und dort, wo die Landnahme des Menschen in seine angestammten Reviere hinein wuchert, etwa in Mumbay, kann er sogar zur direkten Bedrohung für den Menschen werden. Dies wird insbesondere immer wieder aus Indien berichtet.

Insofern ist die Beziehung Mensch/Leopard – ähnlich wie die zum Tiger – wenn er „Menschenfresser“ wird, eine Erinnerung an die langen Zeiten, in denen unsere Vorfahren selbst als Beute der Raubtiere bedroht waren. Die Ängste vor großen Beutegreifern sind also berechtigte Urängste des Menschen. Gleichzeitig ist diese Beziehung auch Beleg, dass der Mensch kein Prädator ist, sondern von der natürlichen Stellung im Ökosystem als mittelgroßer Allesfresser sowohl Beute als auch Erbeuter sein kann. Sogar die Interaktion der großen Katzen kann einen Einfluss haben: Man vermutet, Tiger könnten im Bereich der Reservate (Beispiel Sariska) Leoparden verdrängen und sie dazu veranlassen, näher an dem menschlichen Siedlungen zu jagen, was den Konflikt verschärft. Die „Times of India“ berichtet am 08. Februar 2017: „Experts said that since the population of tigers have increased in the area has forced the leopards to move towards the villages“ … und geht unaufgeregt auf die Problematik der Bedrohung des Leoparden wegen ihrer schwindenden Lebensräume und Beutetier-Basis in ganz Rajasthan ein.

Unsere kulturelle Entwicklung und die allumfassende Bedrohung gerade der größeren Spezies auf der Erde stellt uns Menschen ganz grundsätzlich vor die Frage, ob wir den großen Beutegreifern mit ihren enormen Lebensraumansprüchen eine Zukunft auf der Erde ermöglichen wollen.

Leopard, Snow Leopard, Schnee, Winter, Wald, Porträt
Persicher Leopard, Foto: Pixabay

Leopard, Safari, Afrika, Kenya
Afrikansicher Leopard. Foto: Pixabay
Figure 1 aus Jacobson et al 2016. Deutlich zeigt sich an der stark schrumpfenden Verbreitung des Leoparden in Afrika die Tendenz zur Zersplitterung des Areals mit allen bekannten Negativfolgen für die zunehmend isolierten Teilpopulationen.
Figure 2 aus Jacobson et al 2016. Die Arealverluste des Leoparden in Asien und dem mittleren Osten sind ebenfalls dramatisch.
Figure 3 aus Jacobson et al 2016. In Ostasien ist die Ausrottung des Leoparden am weitesten fortgeschritten. Man beachte das historische, ehemals geschlossene Verbreitungsgebiet.

Bewusst ist das alarmierende Schicksal des Leoparden auf der Erde hier ein wenig ins Detail gehend umrissen. Denn es ist beispielhaft für das Schicksal fast aller großen Wildtiere der Erde, die in Interessenkonflikt mit dem Menschen geraten. Die zitierte beispielhafte Übersichtsarbeit von Jacobson et al (2016) weist auf den immensen Wert der Arbeit und Feldforschung von Biologen weltweit an diesen durch den Menschen bedrohten Arten hin. Niemand wird sagen können, wir hätten nichts gewusst vom Status und von den Zusammenhängen für das Verschwinden von Wildlife weltweit.

Europas und Deutschlands Wildtiere – keine Entwarnung an vielen Konfliktfronten:

In Europa und speziell im selbsternannten Musterland des Naturschutzes Deutschland ist der Interessenkonflikt mit verschiedensten Wildtieren virulent. Manche Auseinandersetzung um Konfliktarten erinnert an hasserfüllte Frontstellungen, die offenbar seit Jahrhunderten noch immer nicht überwunden sind (s.o.: Wolf). Bevor mit Fingern und überheblich auf andere Regionen der Erde gezeigt wird, und wenn notorisch von anderen Völkern und Nationen der Schutz ihrer Wildtiere eingefordert wird, sollten in unserem Land etliche Verfolgungspraktiken und eingefleischte Frontstellungen revidiert werden. Ein ernüchternder Blick auf einige herausragende Beispiele – die Liste wird fortgesetzt…:

1) Wildgänse in Deutschland – Feuer frei

Die Schizophrenie des vermeintlich naturfreundlichen deutschen Publikums (grüner Zeitgeist bei zunehmender Naturferne) könnte kaum besser sinnfällig werden als im gewalttätigen Umgang mit den Wildgänsen: Da strömt ein Millionenpublikum in den Neunziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den Film „Amy und die Wildgänse“, und gleichzeitig wird in Deutschland sowohl den bei uns durchziehenden als auch den brütenden Wildgänsen für ihre Nahrungssuche und ihre Habitat-Präferenzen Hass-Propaganda und zigtausendfaches Abschießen zuteil…

Wem ist schon bewusst, dass die Jagdstrecke in Deutschland seit Jahren für „Wildgänse“ bei annähernd 100.000 Vögeln liegt? Ist eine solche Vogeljagd kein Anlass zu einer ethischen Reflexion – auch dann, wenn sie nach heutigen Rechtsgrundlagen legal ist?

Junge führende Graugänse Jarßum/Emden/Ostfriesland. Nicht schutzwürdig? Foto: Eilert Voß

Kann aus einem Land mit dieser Vogeljagd-Realität auf die Vogeljagd im Mediterraneum mit Fingern gezeigt werden, weil es sich dort (mehrheitlich, aber nicht nur) um „niedliche“ Singvögel handelt, die jährlich zu Millionen gefangen und getötet werden?

Rastende Wildgänse in Nordseenähe. In diesem Falle sind es Nonnengänse -(mit anderem Namen Weißwangengänse). Foto: Eilert Voß. Die arktischen Gänse sind überall auf der Erde auf Nahrungsflächen während ihrer weltweiten Wanderungen angewiesen. Als ob die Umstellung der Flächen mit Windkraftanlagen nicht schon genug wäre. Es ist ein Skandal ersten Ranges, wenn diese Zugvögel in Deutschland wegen angeblicher Schädlichkeit für das Grünland beschossen werden, und ihnen der Lebensraum sogar in EU-Vogelschutzgebieten abgesprochen wird. Schwerpunkt des mit Hilfe der Medien gezielt geschürten Hasses auf Wildgänse ist seit Jahren Ostfriesland. Einzelheiten zu skandalösen Vorgängen und Berichterstattungen beim „Wattenrat e.V.“ Ostfriesland ist nicht nur wegen des zunehmend flächendeckenden Ausbaus der Windkraft längst ein Notstandsgebiet in Sachen Naturschutz. Auch für andere Arten im Interessenkonflikt, speziell in der Hetze gegen die Rabenvögel (s.u.), ist Ostfriesland mit der benachbarten Wesermarsch ein regelrechtes Zentrum des organisierten Hasses (siehe Epple, Helb & Mäck 2004, Literaturzitat hier).
Opfer des Beschusses werden nicht immer gefunden, da sie von Aasfressern, besonders von Füchsen schnell abgeräumt werden. Die tot aufgefundene Nonnengans wurde Opfer des Beschusses. Auf dem Röntgenbild ist der Knochenbruch durch Schrot zu erkennen. Alle Fotos: Eilert Voß
Während einer Treibjagd auf Feldhasen erschossene Graugans. Wirklichkeit im Naturschutz-Musterland…Foto: Eilert Voß

Die Bejagung und/oder gezielte Störung rastender Wildgänse im Hinterland der Nordseeküste ist ein Verstoß gegen den Geist der Bonner Konvention von 1979 (Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals, CMS) die der Erhaltung und dem Schutz wandernder Tierarten weltweit dienen sollte. Die geradezu bedrückenden Vorgänge rund um die Gänsejagd in direkter Nachbarschaft zum Wattenmeer dürfen als skandalös und eine Schande für Deutschland bezeichnet werden.

Wie die beiden nachfolgend besprochenen Arten zeigen, ist teilweise exzessive Vogeljagd in Deutschland, das sich so gerne als Musterknabe des Naturschutzes in Europa und weltweit aufspielen möchte, nach wie vor ein Thema.

2) Die Fischfresser unter den Vögeln: Kormoran und Graureiher

Fischfressende Vogelarten sind vielfach Gegenstand von Verfolgung und Abneigung. Bei den beiden Arten Kormoran und Graureiher, die hier herausgegriffen werden, ist es an der Zeit, die Verfolgungspraxis nicht nur in Deutschland zu überdenken. Denn mangelndes Wissen über die Biologie der Arten und Futterneid sind nicht geeignet, zu einem fairen Auskommen mit diesen Arten zu gelangen.

Kormoran, Baum, Wasservogelreservat, Natur, Vogel
Koloniebrüten und Schwarmbildung: Beides Anlass für Konflikt und Mißverständnis, nicht nur bei Kormoranen, sondern z.B. auch bei Rabenvögeln (s.u.). Das Bild zeigt Kormorane. Foto: Chris Beez, Pixabay
Besondere Schizophrenie auch hier: In Deutschland ist der Kormoran nach wie vor nach dem BNatschG eine geschützte Art. Spezielle länderspezifische Kormoran-Verordnungen aber regeln die inzwischen auch in Deutschland wieder systematische Verfolgung der angeblichen „Fischereischädlinge“. Die Jahresstrecke beträgt in Europa ca 80.000 Vögel. Deutschland liegt mit 15.000 getöteten Kormoranen pro Jahr bereits auf dem unrühmlichen Platz zwei innerhalb der EU. Für die nicht bestreitbaren durch Kormorane verursachten Probleme an kommerziellen Fischzuchten und kleinen Teichen gibt es Methoden der Schadenvorbeugung, ohne die Vögel abzuschießen. In der freien Natur aber ist der Umgang mit dem Kormoran nach dem Motto „Regulation mit der Büchse“ ethisch nicht vertretbar.
An zwei Wochenenden des Frühsommer 2005 töteten „Waidmänner“ zur behördlich veranlassten sogenannten  „Bestandsregulierung“  mindestens 6.000 Kormorane in einer der großen Kolonien  Mecklenburg-Vorpommerns.
Das Massaker im „Anklamer Stadtbruch“, einem fast 1500 Hektar großen wertvollen Feucht-Wildnis-Gebiet im Übergang zwischen Land und Meer, einer Special Protected Area (SPA) der EU, ist nicht das einzige Massaker an Kormoranen in Deutschland…
Über das schändliche Vorgehen berichtete seinerzeit sogar ein Boulevardblatt (s.o.) mit der unzutreffenden Schlagzeile „Weil die Vögel die Fischbestände an der Küste plündern…“. Selbst unbedarften Touristen fiel tagelang der Gestank verwesender Vögel auf, und ebenso die halbtoten, angeschossenen und  über die Kadaver tapsenden verwaisten und vor Hunger sterbenden Jungvögel.

Ähnlich verhasst wie der Kormoran ist der Graureiher, wenngleich sein Schutz wenigstens in einigen Bundesländern gewährt ist…:

Graureiher, Fischreiher, Reiher, Schreitvogel, Wasser
Der Graureiher ist im Gegensatz zum Kormoran in Deutschland eine nach Bundesjagdgesetz jagdbare Art. Foto: Marcel Langthim, Pixabay. Er genießt aber mit Ausnahme Bayerns ganzjährige Schonzeit. Nach den Vorgaben des EU-Rechtes ist er gleichzeitig eine geschützte Art. Aufhebung der Schonung wird, wie in Bayern, mit Schäden in der Teichwirtschaft begründet. Zur rechtlichen Situation und zur Auswirkung von Abschüssen ist das Bild in Deutschland uneinheitlich. In einigen Bundesländern werden Graureiher zum „Schutz“ der Teichwirtschaft abgeschossen. Der Abschuss führt selbst bei kleinen Abschusszahlen wie in geschichtlicher Zeit zu Bestandsrückgängen, möglicherweise zu lokalen Bestandseinbrüchen und zum Verschwinden der Art (Beispiel Schleswig-Holstein). In einer Bilanz für 2012 bis 2015 über das Wirken des damaligen Umweltministers Robert Habeck/GRÜNE zieht der NABU Schleswig-Holstein eine ernüchternde Bilanz gerade für den Schutz der fischfressenden Vogelarten Kormoran und Graureiher…
Die Graureiherabschusszahlen in Bayern seit der Aufhebung der Schonung: Gesamtstrecke Graureiher seit 1985 (© LfL)Quelle: http://www.wildtierportal.bayern.de/wildtiere_bayern/099253/index.php
Ist es verwunderlich, dass die Bestände in Bayern abnehmen? Ist diese exzessive Vogeljagd auf einen unserer größten unter den heimischen Schreitvögel ethisch ohne Belang?

Säulendiagramm zur Anzahl der Individuen in insgesamt sieben Jahren in Unterfranken. Zugleich wird durch eine lineare Darstellung die Anzahl der jährlichen Abschüsse dargestellt: Die Daten im Einzelnen: 1979: 414 Individuen, Abschüsse 0, 1983: 646 Ind., Abschüsse 0, 1966: 694 Ind., Abschüsse 5, 1989: 1.398 Ind., Abschüsse 19, 1995: 1.768 Ind., Abschüsse 20, 2001: 1.410 Ind., Abschüsse 103, 2008: 1.080 Ind., Abschüsse 119
Eine an dieser Stelle bisher wiedergegebene, ursprünglich auf der LfU-Seite veröffentlichte Grafik deutete auf einen möglichen Zusammenhang von Abschuss und regionalem Rückgang des Graureihers hin, und zwar am Beispiel Unterfrankens. Die LfU hat diese Grafik und den begleitenden Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Bejagung und Rückgang nicht mehr auf Ihrer Seite (geprüft durch Aufruf am 04.10.2022).

Es stellt sich die Frage, ob der innerhalb Deutschlands nur in Bayern mit einer Jagdzeit von Mitte September bis Ende Oktober im Umkreis von 200 Metern von „geschlossenen Gewässern“ zum Abschuss freigegebene Graureiher durch diesen Abschuss überhaupt ein fachlich fundiertes „Management“ in diesem Bundesland erfährt. Nach Darstellung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) wird durch den Abschuss nicht die Brutpopulation dezimiert, sondern es werden überwiegend Gastvögel aus Nordost- und Osteuropa getötet. Andererseits hat die Graureiher-Population in Bayern bereits zwischen 1995 und 2008 nach dortigen Angaben um 20 % abgenommen. Aktuellere Zahlen sucht man vergeblich. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Abnahme auch mit dem seit dieser Zeit gestiegenen Abschuss zusammenhängt. Deshalb wird bezweifelt, dass trotz regelmäßiger und flächendeckender Bestandskontrollen ein „ausgewogener Kompromiss“ zwischen Belangen der Fischerei und des Artenschutzes vorliegt, wie dies auf dem Wildtierportal der Staatsregierung verlautbart wird. Der Abschuss von jährlich 6000 Großvögeln einer Art, deren Bestand etwas mehr als 2000 Brutpaare (laut LfU im Jahre 2008 etwa 2100 Brutpaare) aufweist, und die weiterhin in der „Vorwarnliste“ der „Roten Liste“ in Bayern geführt wird (Quelle: LfU Bayern, s.o.), ist nicht zeitgemäß und entspricht nicht einem im Sinne der Vogelschutz-RL der EU vorsorgenden Umgang mit einer wildlebenden Vogelart.

LfU wörtlich: Die Abschüsse betreffen also zu einem erheblichen Anteil nicht die bayerischen Brutvögel, vermutlich vor allem Vögel aus Tschechien, Norddeutschland, Ostdeutschland und Polen. Sie befinden sich auf dem Durchzug und rasten an bayerischen Gewässern. Der Rückgang der bayerischen Brutpopulation seit 1995 deutet aber daraufhin, dass die Jagd auch einen Einfluss auf die heimischen Brutvögel ausübt. Möglicherweise kommt es nach der Brutzeit zu regionalen Wanderungen innerhalb Bayerns, zum Beispiel von den Kolonien Unterfrankens in das mittelfränkische Teichgebiet, wo dann auch einheimische Brutvögel erlegt werden.“

3) Der Fischotter – endlich Lebensrecht im angestammten Habitat ?

Obwohl in großen Teilen seines ehemaligen Verbreitungsgebietes in Mitteleuropa bis heute ausgerottet (so etwa im Schwarzwald und ganz West- und Südwestdeutschland), erregt die langsame Wiederkehr des Fischotters, eines der prominentesten Vertreters der Marderartigen (siehe Legende zum Foto Hermelin zu Beginn der Seite), weiterhin die Gemüter. Und wie bei anderen Arten im Interessenkonflikt: Von Hass bis Zuneigung und Bewunderung für die flinken und spielfreudigen Marder ist die Bandbreite an Reaktionen groß. Um es vorweg zu nehmen. Der Fischotter verdient in einem ganzheitlich verstandenen Verhältnis zur Natur völligen Schutz. Konflikte, etwa an Fischteichen und kommerziellen Fischzuchten, sind ohne weiteres unblutig zu lösen!

Tier, Otter, Fischotter, Wasser, Eis, Laufen, Rutschen
Fischotter fressen nicht nur Fische, sondern alles, was sie in Wassernähe und im Wasser überwältigen können… Foto: Gerhard G., Pixabay
Fischotter, Tier, Natur, Zoo, Tierwelt, Wild
Fischotter sind mit ihrem extrem dichten Fell an den ständigen Aufenthalt an und im Wasser bestens angepasst. Foto: Thomas Grube, Pixabay.
Die Verbreitung des Fischotters in Deutschland. Quelle: https://www.otterspotter.de/vorkommen-und-bestand. Um die Wiederkehr in den ehemaligen Verbreitungsgebieten auch in Westdeutschland zu unterstützen, müssen die Otter weiterhin geschützt werden. Die große Lücke im heutigen Verbreitungsgebiet geht auf die Ausrottung und unbarmherzige Verfolgung in der Vergangenheit zurück.

Im Nachbarland Österreich ist der Fischotter nach seiner Wiederkehr bereits wieder stark unter Druck. Nach Jahrzehnten der Schonung, in denen die Verfolgung illegal war, und dennoch eine Rolle spielte, wird nun offiziell zur Fischotterjagd geblasen – ein Skandal vor dem Hintergrund der Bestandssituation und der eindeutigen Rechtslage in Europa. Am 21. November 2019 erreichte mich der Naturschutz-Hilferuf via Petition des WWF aus Österreich:

Der streng geschützte Fischotter ist schon wieder in Gefahr! Niederösterreich plant eine Verordnung, um bis zu 180 (!) Fischotter abzuschießen. In Kärnten ist das bereits traurige Realität: hier gilt eine Verordnung, die alljährlich bis zu 43 Fischottern das Leben kostet. Das muss sofort aufhören!
Die Politik darf sich nicht über das Wohl von geschützten Arten und über EU-Gesetze hinwegsetzen.Denn nur dank der strengen Schutzgesetze erholen sich die Fischotter-Bestände wieder. Appellieren Sie mit uns an Niederösterreichs Landeshauptfrau Mikl-Leitner und Kärntens Landeshauptmann Kaiser: Geschützte Tierarten dürfen nicht getötet werden!“

Ein Naturschutz-Skandal ersten Ranges und möglicherweise Rechtsbruch bezüglich der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU bahnt sich an in der Alpenrepublik. Denn diese Richtlinie sieht in Ihrem Artikel 16 strenge Voraussetzungen für Ausnahmen vom Schutz vor….

Bruch des europäischen Rechtes war und ist auch in Bayern geplant – siegt Populismus über geltendes Artenschutzrecht?

Auch in Bayern bahnte sich 2020 ein Skandal an. Der Fischotter ist nach seiner Rückkehr in die östlichen Landesteile weiterhin insbesondere in Fischerei-Kreisen unbeliebt. Dass im Rahmen des „Managements“ in der Oberpfalz nun erstmals männliche Fischotter „entnommen“ (sprich: gefangen und getötet) werden sollten, ist rechtlich, ökologisch und ethisch mehr als fragwürdig. Eine fachlich sehr fundierte Stellungnahme des Bund Naturschutz in Bayern e.V. ist im Blog Bayern wild veröffentlicht (leider wurde ein Kommentar von mir dort nicht publiziert). Es war zu befürchten, dass ein Dammbruch der Verfolgung der Fischotter eingeleitet wird. Ein solches Vorhaben verstößt mit Sicherheit gegen die Vorgaben des höherrangigen und umzusetzenden EU-Artenschutz-Rechts. Die strengen Voraussetzungen für Ausnahmen vom Schutz-Flora-Habitat-Richtlinie sind mit Sicherheit nicht erfüllt. Dies gilt schon für die erste Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Ausnahme: „Sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt…“ Das im Rahmen des „Fischottermanagements“ geplante bayerische „Pilotprojekt“ verstößt in weiterer Hinsicht gegen die rechtlichen Vorgaben der FFH-RL der EU insbesondere deshalb, weil es zur behördlich erlaubten Entnahme und Tötung von Fischottern nicht letale Alternativen gibt. Die vorgesehenen Maßnahmen könnten aufgrund von großen Unsicherheiten und mangelnder Kontrolle der Einzelereignisse zu einer Gefährdung selbst der jeweiligen örtlichen Population des Fischotters beitragen. Das Naturschutzrecht ist sehr wohl auf den Schutz von Individuen ausgerichtet. Tötung von Individuen ist für streng geschützte Arten im Sinne der FFH-Richtlinie immer die ultima ratio.

Die Klagen des Bund Naturschutz in Bayern und der Aktion Fischotterschutz e.V. hatten 2021 vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg Erfolg. Die Begründung trägt den EU-rechtlichen Schutzvorschriften und etho-ökologischen Fakten Rechnung. Wörtlich heißt es in der PM des Gerichts: „Am 27. August 2021 begründete der Vorsitzende der 4. Kammer, Dr. Andreas Fi- scher, im Rahmen eines Verkündungstermins die Gerichtsentscheidungen insbe- sondere damit, dass in die genehmigten Fallen auch weibliche Fischotter und Jung- tiere gelangen würden und damit auch der Verbotstatbestand des Fangens weiblicher Tiere und von Jungtieren betroffen sei. Die Behörde habe sich in ihren Beschei- den jedoch nicht mit der damit verbundenen Problematik auseinandergesetzt. Außerdem seien die genehmigten punktuellen Maßnahmen schon ihrem Wesen nach nicht geeignet, fischereiwirtschaftliche Schäden abzuwenden, da in relativ kurzer Zeit ein gebietsfremder Fischotter den Platz eines entnommenen Tieres wiederbesetzen werde. Schließlich habe die Regierung der Oberpfalz keine Fauna-Flora-Ha- bitat (FFH) – Verträglichkeitsprüfung durchgeführt, obwohl die sogenannte Vorprü- fung nicht mit dem erforderlichen Maß an Gewissheit eine erhebliche Beeinträchti- gung der Erhaltungsziele in den betroffenen FFH-Gebieten ausgeschlossen habe.(…)“

Gegen das Urteil legte der Freistaat Bayern Berufung ein und unterlag auch in zweiter Instanz. Unter anderem die SZ berichtete.

Der für den Naturschutz positive Ausgang des Rechtsstreits um die tödliche Entnahme von Fischottern erhält Brisanz und ist deshalb richtungweisend, weil Bayerns Regierung unter der Verantwortung des Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder (mit Adjutant Hubert Aiwanger) zunehmend populistisch, einseitig und naturschutzfeindlich agiert:

Am 25.April 2023 hat die Regierung Söder (CSU)/Aiwanger(FW) zwei Verordnungen auf den Weg gebracht. Diese VO würden sich erstens für den Schutz des Fischotters höchst problematisch auswirken, und zweitens wendet sich Bayern damit gegen den Schutz des Wolfes.

Hier geht es zur bayerischen Fischotter-Verordnung („Verordnung zur Änderung der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung
betreffend Ausnahmen für den Fischotter vom 25. April 2023)

Hier geht es zur bayerischen Wolfsverordnung („Bayerische Wolfsverordnung vom 25. April 2023“) die erkennbar gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht verstößt.

Das Medienecho zu beiden Vorstößen ist entsprechend. Im Sinne eines Ausgleichs der berechtigten Interessen der Teichwirte und der Weidewirtschaft und des Lebensrechtes der Wildtiere ist zu hoffen, dass in Bayern rechtsstaatliche Verhältnisse von der Gerichtsbarkeit wieder hergestellt werden. Die steilen Aussagen im Rahmen öffentlicher Auftritte allerdings, die dem eigenen Anspruch gerade des MP Söder spotten (Söder spricht andernorts, wenn es um die von ihm zu verantwortende Auslieferung und Zerstörung der Staatswälder durch und für die Windkraftindustrie geht von der „Schöpfung“) , dürften aufmerksamen und sensiblen Naturfreunden nicht entgangen sein.

In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 08.Mai 2023 ist der Kommentar zurecht deutlich: „Abschuss von Wölfen – Auch Söder muss sich an Recht und Gesetz halten. Mit der neuen Wolfsverordnung setzen sich der Ministerpräsident und seine Staatsregierung über geltendes Recht einfach hinweg. Deshalb ist eine Klage dagegen nicht nur richtig, sondern wichtig. Es ist richtig, dass der Bund Naturschutz gegen die neue bayerische Wolfsverordnung klagt...“

Von einem gesicherten Bestand des Fischotters kann in Mitteleuropa weiterhin nicht ausgegangen werden (siehe oben, Verbreitungskarte). Die aktuelle Verbreitung des Fischotters in Deutschland zeigt weiterhin große Verbreitungslücken aufgrund der vorangegangenen Ausrottung in vielen Landesteilen. Von einem guten Erhaltungszustand der Population des Fischotters in Deutschland kann deshalb keine Rede sein. Die Bestandserholung in Ostbayern und anderen östlichen Landesteilen Deutschlands muss vielmehr noch immer als fragil und vorläufig betrachtet werden, auch wenn der Otter in einigen Landkreisen geeignete Habitate besetzt hat. Die Sondersituation an intensiven Fischzuchtanlagen und in der Teichwirtschaft, wo dem Otter ohne entsprechende Vorkehrungen ein „Food-Bonanza“ (s.u.) geboten wird, ändert daran nichts.

Die kurzen Aufnahmesequenzen entstanden an einem kleinen Bach im vorderen Bayerischen Wald. Beide Videos: Wolfgang Epple. Es handelt sich bei den drei Fischottern mit großer Wahrscheinlichkeit um ein Weibchen mit zwei ausgewachsenen Jungen aus 2019. Die Tatsache, dass Fischotter wie übrigens viele Wildtiere auch in der vom Menschen stark beeinflussten Natur und Landschaft sehr wohl gut leben können, ist ein Hinweis, was sie benötigen: Es geht um Toleranz und Schonung. Es geht um die Integration der Ansprüche der Mitgeschöpfe in die Art und Weise, wie wir mit der Natur haushalten. Für Arten, deren Verschwinden mit direkter Verfolgung und Ausrottung zusammenhängen, ist alleine durch Schonung und Respekt Wiederkehr und langfristiges Überleben möglich.

Der Fischotter wurde von der Deutschen Wildtierstiftung zum Tier des Jahres 2021 gewählt.

Junge Otter werden von der Fähe etwa 14 Monate lang geführt. Die Video-Aufnahmen zeigen, dass Fischotter wie viele andere Wildtiere in der vom Menschen stark geprägten Kulturlandschaft ein Auskommen finden können. Wenn das Nahrungsangebot gut ist, werden vom Fischotter selbst kleine Bäche besiedelt. Ein „Überhandnehmen“, ist durch die Territorialität der Otter nicht möglich. Ihre Reviere erstrecken sich bis weit über 20 oder gar 30 km Bachlauf, weshalb sie nur in großen Zeitabständen an ein und der selben Stelle und immer nur für sehr kurze Zeit auftauchen. Die Jungen müssen nach der Geschlechtsreife aus dem Elternrevier abwandern. Diese Verbreitungswanderung kann dabei auch über weite Strecken ohne Gewässer führen. Wenn sie dabei Straßen überqueren müssen, sind sie extrem durch Verkehrstod gefährdet.

Fischteiche und kommerzielle Fischzuchten stellen für die Otter ein „Food-Bonanza“ dar, das zur Jagd deutlich öfter und wiederholt frequentiert wird. Die dort entstehenden Konflikte können ohne weiters unblutig gelöst werden. Ausnahmen vom Schutz sind durch die strengen Vorgaben des Artikels 16 der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU geregelt. Auch in Ländern, in denen der Otter bis heute dem Jagdrecht untersteht, ist durch den strengen Schutz der FFH-RL eine ganzjährige Schonzeit rechtlich erforderlich. Toleranz und Schonung sind Zeichen ganzheitlichen Naturschutzes, speziell im Umgang mit allen Arten, die in Interessenkonflikte mit dem Menschen geraten können. Es ist deshalb skandalös, dass es – siehe oben – sowohl in Österreich als auch in Bayern „Projekte“ zur Entnahme (sprich: Fangen und Töten) von Fischottern gibt.

Arten im Schussfeld – die Gemeinsamkeiten

Wie die vorangegangenen Beispiele zeigen: Im Zusammenhang mit ihrer Biologie, insbesondere ihren Ernährungsgewohnheiten und ihrer Stellung in den Ökosystemen geraten immer wieder und vor allem Arten in das Schussfeld, die sich

  • erfolgreich an die vom Menschen veränderten Lebensbedingungen anpassen
  • hohe kognitive Fähigkeiten aufweisen, also „klug“ sind
  • angeblich „schädlich“ oder „gefährlich“ für das Überleben anderer – meist bedrohter und spezialisierter – Arten oder ganzer Ökosysteme sind.

Sowohl vielseitige Allesfresser als auch große Pflanzenfresser sind von der Einordnung und Abwertung als „Schädlinge“, „Pest“ oder „Plage“ betroffen.

Hass und Abneigung betreffen Arten, die Schwärme bilden, und/oder in Kolonien brüten. Nichtbrüter-Trupps (Beispiel: Rabenvögel) und Koloniebrüten (Beispiel Kormoran, Graureiher) werden regelmäßig als „Übervermehrung“ fehlinterpretiert. Daran haben 50 Jahre Aufklärungsarbeit nichts geändert.

Selbstverständlich gilt für eine ethisch konsistente Diskussion: Notwehr und Selbstbehauptung des Menschen innerhalb seiner Bedürfnisse stehen nicht in Frage (s.o.: Getreideschädlinge, auch Heuschreckenschwärme usw.). Dennoch gilt: Genaues Hinschauen, Ergründen von Ursachen beispielsweise von Massenvermehrungen oder „Invasionen“ ist erforderlich. Speziell die oft im Konflikt behauptete angebliche „Übervermehrung“ einiger Arten entpuppt sich bei sorgfältiger Erforschung als Fehlinterpretation natürlicher Populationsdynamik und Anpassung (am Beispiel der Rabenvögel ausführlich erörtert in Epple 1996). Im Folgenden einige Beispiele von Arten, die aus den benannten Gründen zu Unrecht verfemt sind:

4) Schutz und Verfolgung der Rabenvögel in Deutschland – unendliche Geschichte, unendlicher Skandal:

Seit der erstmaligen Unterschutzstellung der Rabenvögel in Deutschland als seinerzeitige Umsetzung der EU-Vogelschutzrichtlinie ist der Streit um diese Vogelfamilie nie unterbrochen worden. Allenfalls die Auseinandersetzung um den Wolf wird ähnlich hartnäckig und mit ähnlich hasserfüllter Wortwahl geführt…

Als im Jahr 1987 zusammen mit dem Juristen Burkhard Kroymann die erste Wortmeldung zum Thema publiziert wurde,…:

Epple, W. & B. Kroymann (1987): Zum Schutz der Rabenvögel. Natur und Landschaft 62: 288-293.

…und nachdem im Jahr 1996 mein Plädoyer zum Rabenvogelstreit in Buchform erschienen war (siehe oben, Titelbild), gab es noch die Hoffnung, die hasserfüllte Sprache im Streit und der teilweise unsäglich verzerrte Inhalt in aberhunderten medialen Berichterstattungen, politischen Statements usw. könnten versachlicht und mit Fakten richtig gestellt werden. Weit gefehlt!…Bis in die Gegenwart hören Hass und Hetze nicht auf. Die bis heute kolportierten Haupt-Irrtümer und Fake-Nüsse:

  • Koloniebrüten (Saatkrähe), Winterschwärme (Saatkrähen Aaskrähen, Dohlen, in manchen Jahren Eichelhäher) und Nichtbrütertrupps (alle Rabenvögel) werden als „Übervermehrung“, „Zusammenrottung“ usw. fehlinterpretiert und anschließend diffamiert…
  • Kulturfolge und Brüten innerhalb oder in der Nähe von menschlichen Siedlungsgebieten (Elster, Saatkrähe) führen zu ähnlichen Mißverständnissen; es gibt Konflikte um Vogelkot auf Straßen und Autos…
  • Ernährungsgewohnheiten der sich besonders vielseitig ernährenden Rabenvögel führen zu Fehlinterpretationen ihrer Rolle im Naturhaushalt („Rabenvögel rotten Singvögel, Bodenbrüter und Hasen aus“)

Schauen Sie sich um in einschlägigen Auftritten der Krähenjäger, die dem Ansehen des Naturschutzes in Deutschland und insbesondere der deutschen Jäger enormen Schaden zufügen…

Krähen, Rabenvogel, Rabe, Schwarz, Natur, Schnabel
Aaskrähen-Trupp. Foto: Alexas Fotos, Pixabay. Typisch für alle Rabenvogelarten ist die Bildung von Trupps aus Nichtbrütern auch während der Brutzeit; es sind Individuen, die in der etablierten Brutpopulation (noch) nicht zum Zug kommen. Diese evolutionsbiologisch wichtige „Brutresereve“ aus oft noch nicht geschlechtsreifen Vögeln wird regelmäßig als „Übervermehrung“ fehlinterpretiert. Dasselbe gilt für die großen Winterschwärme aus Saatkrähen, Dohlen und Aaskrähen (Einzelheiten in Epple 1996).

Die „Regulation“ mit der Büchse ist angesichts der Ethoökologie der betroffenen Arten rechtlich bis heute fragwürdig und ökologisch sinnlos. Dies gilt auch für die besonders umstrittenen Arten Aaskrähe, Elster und Eichelhäher. Nach dem Entzug dieser drei vorher wie vogelfrei bekämpften Schießobjekte wurde die Unterschutzstellung 1987 von Anfang an lärmend und mit Hass von der Jagd bekämpft. Es erfolgte 1994 die Aufweichung des Schutzes dieser Rabenvögel im höherrangigen EU-Recht der Vogelschutzrichtlinie durch die Aufnahme in den dortigen Anhang II B (nicht ganz zufällig in der Amtszeit der Angela Merkel als Bundesumweltministerin!). Sie können auf Länderebene auch in das Jagdrecht aufgenommen werden. Die aktuelle Rechtszersplitterung ist nicht zeitgemäß. Sie führt mit unterschiedlichen länderspezifischen Schwerpunkten zu einer beschämenden und wieder exzessiven Verfolgung insbesondere der Krähen – mit abstossenden, martialisch an Kriegseinsätze gegen die Natur erinnernden Begleitumständen. Längst sind Abschuss- und Tötungszahlen erreicht wie vor der Unterschutzstellung; nur ein Beispiel sei herausgegriffen:

Alleine in NRW wurden nach Angaben des Deutschen Jagdschutzverbandes (DJV) im Jagdjahr 1995/96 4.603 Eichelhäher, 58.688 Elstern und 55.458 Rabenkrähen geschossen, im Jagdjahr 1997/98 4.398 Eichelhäher, 61.015 Elstern und 65.020 Rabenkrähen. 

Aber auch bei der Bejagung gelten die Standards des europäischen Naturschutzrechtes. So regelt der Artikel 7 (4) der EU-Vogelschutzrichtlinie eindeutig:

„Die Mitgliedstaaten vergewissern sich, dass bei der Jagdausübung — gegebenenfalls unter Einschluss der Falknerei —, wie sie sich aus der Anwendung der geltenden einzelstaatlichen Vorschriften ergibt, die Grundsätze für eine vernünftige Nutzung und eine ökologisch ausgewogene Regulierung der Bestände der betreffenden Vogelarten, insbesondere der Zugvogelarten, eingehalten werden und dass diese Jagdausübung hinsichtlich der Bestände dieser Arten mit den Bestimmungen aufgrund von Artikel 2 vereinbar ist.“ Sie sorgen insbesondere dafür, dass die Arten, auf die die Jagdvorschriften Anwendung finden, nicht während der Nistzeit oder während der einzelnen Phasen der Brut- und Aufzuchtzeit bejagt werden.

Damit sind alle Jagdzeiten in einigen Bundesländern, die bis in die Brutsaison hineinreichen, rechtswidrig. Deutschlands ehemalige Rolle als Vorreiter im europäischen Vogelschutz ist endgültig beschädigt.

Elster, Vogel, Tierwelt, Feder
Elster. Foto: Nancy Schlegel, Pixabay. Elstern rotten keine Singvögel aus, auch wenn diese und ihre Gelege auf dem Speiseplan stehen. Sorgfältigste Feldstudien haben die besonders klugen Elstern allesamt entlastet. Dennoch werden sie immer noch vielfach argwöhnisch betrachtet und als „Schädlinge“ verleumdet. Der Abschuss zigtausender Elstern in Deutschland ist skandalös. In ausgeräumten Feldfluren und durch den Rückgang artenreichen Grünlandes ist auch die Elster in der freien Landschaft vielerorts zurückgegangen.

Das Thema einer so exzessiven wie sinnlosen Jagd auf die unliebsamen Arten Elster, Eichelhäher und Aaskrähe scheint in der deutschen Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen zu werden. Direkte und sinnlose Verfolgung von Wildtieren ist eines jener Naturschutz-Themen, die im Hype um Klimawandel und CO2 drohen, vergessen zu werden. Annähernd 130 Jahre Rechtsgeschichte des deutschen und europäischen Naturschutzes haben in der Geschichte zum Schutz bzw. der Verfolgung der Rabenvögel ihren beklemmenden Niederschlag gefunden (Übersicht bis zum dortigen Stand in Epple 1996).

Das Ignorieren fundiertester Argumentation und der eindeutigen Ergebnisse der Feldforschung ist erschreckend. Es mündet in einen fortwährenden Skandal von Verfolgungsexzessen gegen unschuldige Kreaturen, die einer zivilisierten europäischen Gesellschaft des Jahres 2020 nicht angemessen sind.

Tier, Vogel, Eichelhäher, Garrulus Glandarius, Hunger
Eichelhäher. Foto. Pixabay. Das Abschießen von Eichelhähern grenzt an eine Absurdität. Auch diesen Vögeln wird angesichts der Tatsache, dass Jungvögel und Eier auf dem Speiseplan sind, völlig zu Unrecht eine „Schädlichkeit“ angedichtet. Eichelhäher sind wesentliche Verbündete des Menschen beim Schutz des Waldes: Durch ihre artspezifische Sammeltätigkeit tragen sie zur natürlichen Verbreitung und Verjüngung von Eichen (und anderen Früchte tragenden Waldbäumen und Sträuchern, so Walnuss und Haselnuss) bei. Während Eichel-Mastjahren kann ein Eichelhäher in der dreiwöchigen Hauptsammelphase bis zu 5000 Eicheln im Waldboden verstecken. Obwohl die Häher selbst unter hohem Schnee die Verstecke meist wiederfinden, bleibt ein kleiner Prozentsatz vergessen. Aus diesen Eicheln wächst der Nachwuchs für den Eichenwald…

Nur in ganz wenigen und sehr speziellen Konstellationen ist es überhaupt sinnvoll, im Rahmen eines „Managements“ und im Sinne eines justizförmig einwandfrei ausgestalteten, den Vorgaben des Artenschutzrechtes genügenden Artenausgleiches in Bestände von Rabenvögeln einzugreifen (Übersicht und Erörterung in Epple 1996). Die generelle, praktisch flächendeckende Verfolgung ist ökologisch nicht zu rechtfertigen und ethisch fragwürdig.

Durch Fehlschüsse geraten viele Rabenvögel damit auch in die Obhut von Pflegestationen. Seit Jahren vorbildliche Arbeit in Sachen Hilfe für die zu Unrecht verfolgten Wildvögel und sorgfältige Aufklärung zur Situation leistet eine Initiative um Dagmar Offermann, Anke Dornbach und Gaby Schulemann-Maier, die hier ausdrücklich erwähnt werden soll.

Die unbarmherzige Verfolgung der Rabenvögel führt durchaus zu individuellem Tierleid. Die Rabenvögel befinden sich an der Spitze der Vogel-Evolution und sind in ihren kognitiven und emphatischen Fähigkeiten vergleichbar mit den höchstentwickelten Primaten unter den Säugetieren: Für Elstern, Krähen und Kolkraben ist nachgewiesen, dass sie Spielverhalten zeigen, Werkzeuge gebrauchen, ihr eigenes Spiegelbild erkennen und über eine äußerst hohe emphatische Auffassungsgabe vergleichbar einer Theory of Mind verfügen.

5) Der Biber – Erfolgsgeschichte des Artenschutzes mit Begleitproblemen

Der Biber steht in Europa, wo er einst weit verbreitet war, für die wechselvolle Geschichte der Mensch-Natur-Beziehung in besonderer Weise – war er doch durch direkte Verfolgung und Lebensraumzerstörung bis auf wenige Restpopulationen in West- und Mitteleuropa in vielen Regionen ausgerottet. Erst sehr entschlossene Schutzmaßnahmen und in einigen Teilen auch die Wiedereinbürgerung (Bayern, Schweiz, Österreich!) etwa seit der Mitte des 20. Jahrhunderts haben zu einer erfolgreichen Rückkehr der großen Nager in dafür noch immer geeigneten Lebensräumen geführt. Der Biber könnte also auch unter den „Positiv-Beispielen“ gelistet werden. Angesichts vieler Konflikte um die Wiederkehr der Art wollen wir ihm aber hier die Ehre geben…

Es kann nicht verschwiegen werden, dass die Wiederkehr der Biber in Landschaften, in denen die land- und forstwirtschaftliche Nutzung speziell von Ackerflächen bis an den Rand der Gewässer reicht (konkretes Beispiel siehe unten), zu einer Erneuerung des alten Konfliktes zwischen Schutz einer Art und menschlicher Nutzung führt.

Denn Biber fressen auch in Getreide- und Maisäckern, und sie sind alles andere als unauffällig, was die Auswirkungen ihrer Anwesenheit und ihrer speziellen Art und Weise, wie sie ihren Lebensraum gestalten, betrifft:

Biberdamm an einem Bach im Vorderen Bayerischen Wald. Die Bauarbeiten der Biber führen zu einer vollständigen Änderung der Dynamik an Fließgewässern. Der Anstau bewirkt Vernässung oberhalb des Dammes auch in den angrenzenden Nutzflächen. Konflikte sind vorprogrammiert…Wenn Biber keine Burg bauen, sondern unteriridische Baue pflegen, führt die Unterhöhlung für die Baue seitlich des Gewässers zu weiteren Konflikten. Das über den Biberdamm sprudelnde Wasser wird mit Sauerstoff angereichert. Für Kleinfische entsteht keine Barriere. Foto: Wolfgang Epple
Biber können binnen kürzester Zeit durch Benagen und Fällen (hier in einem ufernahen Gebüsch aus Traubenkirsche) im Bereich ihres Heimatgewässers zu einer kompletten Freistellung, Überflutung und damit starken Veränderung des Lebensraumes beitragen. Dabei führt sie ihre Fress- und Sammeltätigkeit entgegen vieler wohlmeinender Darstellungen sehr wohl bis weit über 50 Meter Entfernung vom Gewässer, selbst bergauf, und sie bearbeiten nicht nur „Weichholz“, sonder auch mächtige Eichen und (im Falle der Biber vor dem Haus des Autors) Buchen, gelegentlich auch Fichten. Wird im Sinne der wirtschaftlichen Nutzung „Wertholz“ vom Biber geschädigt, sind also weitere Konflikte vorprogrammiert. Angemessene Entschädigung von Waldbesitzern für Verluste von Zukunftbäumen im Privatwald ist Voraussetzung für die erwartete Toleranz gegenüber den Bibern. Beide Fotos: Wolfgang Epple.
Biber halten keine Winterruhe, und sind in unseren Regionen eher nachtaktiv. Dieser Biber frisst im Kronenbereich einer durch Schneebruch umgestürzten Espe, direkt am Bachufer. Für ein Nebeneinander von menschlicher Nutzung und Lebensgewohnheiten der Biber gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. Wie bei anderen Arten im Interessenkonflikt: Toleranz und das Zugeständnis eines grundsätzlichen Lebensrechtes sind gefragt. Foto: Wolfgang Epple.
Zwei Jahre später am selben Bach: Wieder nutzt ein Biber eine umgefallene Espe als Nahrungsquelle. Gibt es dieses Nahrungsangebot im Winter in Gewässernähe, fällen Biber deutlich weniger Bäume als in einem „aufgeräumten“ Wald, in dem kein frisches Totholz liegt. Im Prinzip könnten auf diese Weise Ablenkungsfütterungen entstehen, die Fraß-„Schäden“ durch Biber minimieren. Foto: Wolfgang Epple.

Ein Biber transportiert einen frisch geernteten Zweig eines Laubbaumes zur Baustelle am Biberdamm. Foto: Wolfgang Epple

Biber verlassen Winter wie Sommer ihre Gewässer, um Nahrung zu suchen. Es entstehen „Biber-Rutschen“ (mittleres Bild). Unteres Bild: Biberpfad vom Bach ins Wirtschaftsgrünland, wo eine fast kreisrunde Fraßstelle zu erkennen ist. Biber fressen nicht nur Holz und Rinde, sondern grasen gerne, vor allem solange der Aufwuchs kurz ist. Alle drei Fotos: Wolfgang Epple
Dieser junge Biber hat am 07. Mai 2020 noch bei Tageslicht eine frisch gemähte Wiese zum Grasen aufgesucht. Die Jungtiere sind – ähnlich wie bei anderen Wildtieren – anfangs wenig scheu. Foto: Alois Daschner
Im Bereich der Bibertätigkeit entstehen an Bächen kleine Wasserwildnisse mit hoher Artenvielfalt (Libellen, Amphibien, zusätzliche Laichmöglichkeiten für kleine Fischarten). Der Biber stellt aus Sicht der Artenvielfalt eine Bereicherung dar. Beide Fotos: Wolfgang Epple; sie entstanden am selben Bach wie die folgenden Fotos:

Die obigen drei Bilder (alle Fotos: Wolfgang Epple) erzählen die Geschichte des Konfliktes Biber/landwirtschaftliche Nutzung am sehr konkreten Beispiel der Biberfamilie vor unserer Haustür im Jahr 2020: In unmittelbarer Nähe (kaum 5 Meter) vom Bachrand wird im hängigen Gelände (ein Südhang) Mais gepflanzt. Die Biber nutzen den Mais als Nahrung und zum Bau eines Dammes (oberes Foto). Im Laufe des Sommers 2020 wurde der Damm von den Landwirten viermal entfernt, weil das an der Nordseite angrenzende Grünland durch den Rückstau verfeuchtet (mittleres Foto; der Mais ist nun abgeerntet). Solange der Mais nicht abgeerntet war, wurde der Damm von den Bibern immer wieder neu errichtet. Die Erklärung: Der Wohnkessel der Biber befand sich im an der Südseite angrenzenden Acker. Diesen Wohnkessel wollen die Biber unter Wasser erreichen, weshalb sie den Bach anstauen…Im Winter ist nun die Erde oberhalb des Wohnkessels der Biber eingebrochen, und damit der ehemalige Wohnbereich sichtbar geworden (unteres Foto). Die Biber sind gegen Ende 2020 vorerst ausgewichen an eine andere Stelle, an der sie ungestört sind. Was aber ist nun der Schaden? 1) Wie ist Ackerbau mit Spritzmitteleinsatz am Erosion-gefährdeten Hang direkt am Biber-Bach, der übrigens eine Vorflut zu einem FFH-Schutzgebiet bildet, zu bewerten? 2) Haben Biber, wenn sie unmittelbar am Gewässer eine Wochenstube errichten, einen Schaden an der Natur angerichtet? 3) Ist das örtlich begrenzte Überschwemmen von Grünland und die entstehende Wasserrückhaltung ein „Schaden“ in Bezug auf den Naturhaushalt? Wenn einseitig nur „Nutzen“-ausfall oder gar das Einbrechen eines ufernahen Bereiches „bewertet“ werden, wird das dem Biber zum Verhängnis. Er wird zum „Schädling“, und man sorgt nicht nur für fiskalischen Ausgleich….der Konflikt endet für die wehrlosen Wildtiere leider oft tödlich.

Vor dem Hintergrund vollmundiger Formulierungen von Naturschutz-Theoretikern über „Rewilding“ oder „Artenschutz durch Landwirtschaft“ zeigt der Schutz des Bibers, wie eine Nagelprobe für diese Ansätze und Vorstellungen in der Praxis aussieht:
Gewässerschutz und Gewässerrandstreifen müssen viel großzügiger als in 5-Meter-Dimensionen gedacht werden. Denn das konkret geschilderte Beispiel zeigt, dass 5 Meter breite Gewässerrandstreifen, mit denen sich z.B. das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz im Anschluss an das „Volksbegehren Artenvielfalt -Rettet die Bienen“ schmückt, für einen effektiven Artenschutz oder gar gerechten Interessenausgleich am Gewässer nicht ausreichen. Warum geben wir den Flüssen und auch den kleineren Bächen, den Lebensadern unserer Landschaft, nicht deutlich mehr Raum? Dies würde nicht nur dem Natur- und Artenschutz, sondern auch dem Hochwasserschutz zu Gute kommen…

Würden dem Biber die Lebensräume nicht sofort und überall streitig gemacht, wo er im Kulturland auftaucht, würde der Schutz der Fließgewässer vor Eintrag schädlicher Chemikalien ernst genommen und wären die Bemühungen um einen fairen Ausgleich mit Wildtieren wirklich ernsthaft, käme man bei der konkreten Güterabwägung zwischen Schutz und Nutzung gerade auch im Falle des Bibers im Kulturland sicher an vielen Orten zu anderen Ergebnissen, als es die Entnahme und Tötung der „Problembiber“ an einer solchen Stelle ist. Und sicher ist: Hätte es an dieser Stelle keinen Maisacker in unmittelbarer Angrenzung an ein wertvolles Gewässer gegeben, wäre mangels „Baumaterial“ kein Biberdamm entstanden und damit auch keine Wochenstube der Nager möglich gewesen!

Eine „update“: Wie zäh Biber an einem für sie geeigneten Platz festhalten, zeigt sich Ende Juli 2021: An genau der selben Stelle wird wieder binnen weniger Tage ein Damm errichtet.

In diesem Jahr 2021 ist das angrenzende Feld mit Getreide bestellt. Auch dieses nutzen die Biber gelegentlich als Futterquelle. Der Aufstau des Baches gelingt ihnen erneut, obwohl Gehölze weit entfernt sind. Fotos: Wolfgang Epple

Fazit: Biber sind keine Schädlinge:

Biber geraten in einen geradezu klassischen Nutzungskonflikt mit dem Menschen vor allem dort, wo intensive Landwirtschaft und forstliche Holzäcker direkt bis an Gewässer reichen.

Das Bayerische Landesamt für Umwelt schreibt zu Gefährdung und Beeinträchtigung des Bibers im Freistaat:(…)Illegale Nachstellungen (Erschlagen, Erschießen, Vergiften, Fallen; Todesursache von 15 % der tot aufgefundenen Bibern in Bayern)(…)...Seit 2007 regeln die „Grundsätze des Bibermanagements in Bayern“ den Umgang mit der Art in Konfliktbereichen. Sie basieren auf drei Säulen in der Reihenfolge Beratung – Prävention – Zugriffsmaßnahmen. Seit 2008 regelt eine Allgemeine Ausnahmeverordnung die Zerstörung von Dämmen und die Entnahme von Bibern in konfliktträchtigen Revieren. 2015 wurden auf dieser Rechtsgrundlage 1.435 Biber in Bayern gefangen und getötet.“

Zur Erinnerung: Die Tätigkeit der Biber verursacht nicht nur Konflikte. Sie trägt vielmehr nicht unerheblich zum Wasserrückhalt in der Landschaft bei. Die Tätigkeit der Biber erhöht die Biodiversität. Der Biber betreibt „Biotop-Management“ zum Null-Tarif! Biber würden das „Rewilding“ ganzer Fluss- und Bachtäler ebenso zum Null-Tarif erledigen, würden sie nicht ständig nur als „Schädling“ und gar als „Plage“ gesehen. Ganz im Gegensatz zu oftmals medienwirksam aufgebauschten „Renaturierungen“ mit Bagger, Planierraupen und sehr hohem finanziellen Aufwand, sind Biber gewissermaßen sanft, leise und umso effektiver tätig.

Der Schutz des Bibers wird darüberhinaus zum Paradebeispiel für gerechtes Teilen der Erde mit außermenschlichen Seinsformen, zur Nagelprobe ganzheitlichen Naturschutzes. Es genügt nämlich nicht, 5 Meter breite „Ökostreifen“ entlang von Gewässern schon als Großtat des Naturschutzes schönzureden.

Alle diese Herausforderungen liegen also nicht nur im fernen Regenwald, irgendwo bei den anderen. Es sind Herausforderungen des Arten- und Naturschutzes mitten in unserem durch Nutzung und Zivilisation überformten, dicht besiedelten Land, in dem die ursprüngliche Natur, die Wildnis auf kaum 1 % der Fläche zurückgedrängt ist.

6) Das Wildschwein – eine Plage?

Neben dem Wolf, den Rabenvögeln und den Fischfressern dürfte kaum eine andere Art so sehr unter Verruf stehen und als „Plage“ förmlich aus dem Kreise der dem Menschen liebsamen Wildtiere für immer ausgegrenzt sein wie das Wildschwein. Es vergeht kaum eine Woche, in der die deutschen Medien nicht über irgend einen Vorfall an irgend einem Ende des Landes aus der sogenannten Wildschweinplage in reisserischem Ton berichten – zusammengefast klingt das ungefähr so:

  • Wildschweine vernichten Ernten
  • Wildschweine verwüsten Gärten
  • Wildschweine schänden Friedhöfe
  • Wildschweine übertragen die afrikanische Schweinepest
  • Wildschweine erobern menschliche Siedlungen und stellen eine Gefahr dar

Nachdenklichkeit im Umgang mit diesem besonders anpassungsfähigen und gleichzeitig klugen wie sozialen Wildtier scheint seit vielen Jahren nicht gefragt.

Säugetier, Natur, Tierwelt, Holz, Tier, Wildschwein
Das Wildschwein teilt das Schicksal des eingangs erwähnten Rotfuchses. Obwohl es ein beeindruckendes und auch schönes Wildtier ist, das in (vielfach verlogenen) Hochglanz-Tierfilm-Produktionen gerne gezeigt wird, firmiert es zunehmend nur noch als „Pest-Spezies“ in der Tagespresse und selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien. Das Wildschwein ist aber beileibe kein Waldschädling, sondern trägt mit seiner Wühltätigkeit zur Lockerung der Waldböden und damit zur Naturverjüngung bei. Selbstverständlich gehören auch Gelege und Küken bodenbrütender Vögel zum Nahrungsspektrum. Eine Bestandsgefährdung anderer Arten aber geht in intakten Lebensräumen davon nicht aus. Für das Spannungsfeld etwa im Bezug auf das Auerhuhn sind wie bei anderen „natürlichen Feinden“ lokal begrenzte Maßnahmen zur Bestandssenkung von Wildschweinen selbstverständlich kein Tabu. Hierzu gehört auch, endlich das sogenannte „Kirren“ (Anfüttern, um leichter Abschießen zu können) von Wildschweinen, in den entsprechenden sensiblen Biotopen zu unterlassen. Schutz und Lebensraumgestaltung sollte blutigem „Management“ jedoch immer vorgehen. Foto: Pixabay

Die Verketzerung dieser Wildtiere führt unter dem Zeichen der Bekämpfung der Schweinepest in einigen Teilen Europas zu immer drastischeren und kostenintensiven Vernichtungsfeldzügen (Deutschland, Polen) bzw. „Vorbeugungsmaßnahmen“: Dänemark hat im Jahr 2019 gegen die „deutschen“ Wildschweine gar einen Grenzzaun errichtet. In kleinerem Maßstab gibt es vergleichbare Wildschwein-„Grenzschutz“-Reaktionen in Deutschland…In Polen spricht man wegen der Schweinepest sogar vom Ziel der vollständigen Ausrottung, und will die Armee und die Polizei an die Front des Krieges, der gegen die Wildschweine geführt wird, schicken.

Wie bei den Rabenvögeln erweist sich beim Wildschwein die „Regulation“ mit der Büchse als – zwar vielfach nachgesprochener – Irrglaube: Seit Jahren sind die Abschusszahlen für Wildschweine in Deutschland extrem hoch und steigen (im Jagdjahr 2017/2018 wurden mehr als 800.000 Wildschweine in Deutschland abgeschossen!), und die Bestände scheinen dennoch nicht abzunehmen. Fragt sich da wirklich niemand nach tieferen Ursachen und Zusammenhängen?

Immerhin hat sich in der Flut der hysterischen Darstellungen in Sachen Schweinepest und Wildschwein Daniel Lingenhöhl, Redakteur bei „Spektrum der Wissenschaft“ zugetraut, sachliche Teil-Aufklärung wenigstens zur Schweinepest zu versuchen, allerdings im Schluss seines Artikels die Wildschweine doch als „Massenplage“ titulierend und unzutreffende Behauptungen aufstellend zur Rolle der Tiere in der Natur (Kostprobe: „Wildschweine behindern die Naturverjüngung in Wald…“). Meine Kommentierung (Epple 2018) finden Sie hier.

Der Deutsche Jadschutzverband DJV brüstet sich mit der erfolgreichen Wildschweinvernichtung, und schlüsselt gar den monetären Gegenwert dieser „Dienstleistung“ auf:

„Nach Angaben der Tierärztlichen Hochschule Hannover benötigen Jäger im Schnitt mindestens 20 Stunden, um ein Wildschwein zu erlegen. Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der erlegten Tiere im vergangenen Jagdjahr haben Deutschlands Jäger mindestens 16,4 Millionen Stunden ehrenamtlichen Einsatz im Sinne der Seuchenprävention geleistet. Das entspricht bei Mindestlohn einer monetären Leistung von knapp 145 Millionen Euro.“

Es ist keine Frage: Wildschweine gehören in vielen Teilen des Kulturlandes (weltweit innerhalb ihres Verbreitungsgebietes) zu den „Gewinnern“. Ihre äußerst komplexe soziale Organisation und ihre ebenso flexible Vermehrungsstrategie (die schon einen großen Teil des Misserfolges des Massakers erklärt), ihre hohe Auffassungsgabe und Lernfähigkeit, ihre gleichzeitig ausgeprägte Fähigkeit, ihren Lebensraum allerbestens und geschickt zu „nutzen“ erklärt, weshalb sie sich je nach Ausstattung der Lebensräume so gut wie überall einpassen können. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass ein Teil der Population sich in die jagdberuhigten Bereiche der Wohngebiete des Menschen vorwagt und sich dort erfolgreich etabliert. Dies geschieht auch und gerade dort, wo sich die Großstädte in den Randbezirken in vorher wenig bebaute Naturbereiche hineinfressen

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Wildschweinmütter sind wie die meisten anderen Säugetiermütter sehr fürsorglich und dabei äußerst wehrhaft. Foto: Pixabay.
Je mehr in sozial intakte Rotten hineingeschossen wird, desto unübersichtlicher wird die Reaktion der Wildscheine hinsichtlich ihrer Vermehrung.
In einer Leserzuschrift zum erwähnten Beitrag in SdW schreibt Andreas Reiß, ein offensichtlich guter Kenner der Materie: „Das „Sprengen“ einer Rotte hat zumeist fatale Folgen. Wird die Leitbache abgeschossen, nehmen rangniedere Sauen den Platz ein. Aus einer Rotte werden mehrere Rotten – die Populationsdynamik wird mächtig angeschoben. Die Hydra läßt grüßen…“. Im ethoökologischen Sinne ist hier völlig richtig erkannt, dass viele Arten auf Verfolgung und „unsichere“ Rahmenbedingungen mit einer verstärkten Reproduktion reagieren können. 

Es muss den Wildschwein-Hassern dringend ins Gedächtnis gerufen werden, dass intensive Landwirtschaft, insbesondere der ausufernde Anbau von Mais, zu einem fast deutschlandweiten wahren „Food-Bonanza“ gerade für Wildschweine führt, mit entsprechenden Vermehrungsmöglichkeiten. Wir Menschen haben die „Kapazität“ des Lebensraumes für das Wildschwein deutlich erhöht:

Maisanbau bis unter die Kronen der Bäume eines Waldrandes im Jahr 2023. Foto: Wolfgang Epple. Obwohl seit Jahrzehnten aus Sicht der ökologischen Wissenschaft für die Erhaltung und Stützung der Biodiversität sanfte Übergänge zwischen Wald und Offenland (Stichwort: „Randeffekt“, englisch „Edge-Effect“) gefordert werden, sind gerade in Deutschland so gut wie alle Wald-Offenland-Übergänge abrupt, weil durch Grundstücksgrenzen definiert.
Gerade der im Bild dokumentierte Maisanbau in direkter Nachbarschaft zum Wald gibt Wildschweinen zusätzlich zum natürlicheren Angebot im Wald Nahrung und Deckung. Es entsteht Versteckmöglichkeit und ein „Food-Bonanza“. Die Zusammenhänge zwischen Intensiv-Landwirtschaft, dadurch entstehendem Nahrungsangebot und der Habitatqualität werden im dauernden Lamento über „Übervermehrung“ und in der verachtenden Herabwürdigung des Wildschweins zur Pest-Spezies nicht angemessen berücksichtigt. Hass ist im Umgang mit Wildtieren nicht angebracht, auch nicht im Umgang mit dem Wildschwein.

Selbstverständlich gilt für die Konflikte, die sich aus Verhalten und Biologie des Wildschweins unvermeidbar ergeben, das mehrfach erwähnte Notwehrrecht des Menschen.

Aber die Frage darf erlaubt sein und muss gestellt werden: Sind Vernichtungsfeldzüge, die vielfach mit dem „Auseinanderschießen“ der Rotten und der Zerstörung der Sozialstrukturen der Bestände einhergehen, überhaupt zielführend?

Und wie bei anderen Arten im Interessenkonflikt stellt sich mit Blick auf den Erfolg der Vernichtungsmaßnahmen die Frage nach den ethischen Aspekten eines dermaßen gewaltgeprägten Umgangs mit einem hochentwickelten Wildtier. Welche Alternativen gibt es zu den Massakern?

Aktuelle Forschung: Wildschweine wirken positiv für Lebensgemeinschaften auf Grünland

Wie unzutreffend die den Wildschweinen angedichtete „Schädlichkeit“ selbst für wertvolle Naturschutzflächen ist, zeigt eine aktuelle Studie, die vom September 2019 bis Juni 2021 von der TU Berlin auf 22 Magerrasen in Berlin durchgeführt wurde. Das knappe und eindeutige Fazit; ich zitiere den Informationsdienst Wissenschaft vom 26. Oktober 2021; fette Hervorhebungen durch mich:

Schwarzkittel sind „positive Ökosystemingenieure“


Die Verknüpfung des Wildschweinaktivitätsgradienten und der Biodiversitätsdaten ergab, dass auf den intensiver durchwühlten Flächen mehr Heuschreckenarten und Zauneidechsen gezählt wurden als auf denen mit niedriger Wildschweinaktivität. Außerdem konnte auf den von Wildschweinen aufgesuchten Flächen eine höhere Anzahl an Heuschrecken der Roten Liste Berlins nachgewiesen werden wie zum Beispiel die Gefleckte Keulenschrecke.

Ziel des Projektes war es auch, die Frage zu beantworten, ob die Aktivitäten der Wildschweine auf den für die Biodiversität wertvollen Magerrasen als Wildschäden zu bewerten sind und ob sich daraus Konsequenzen für die Bejagung ergeben. „Da wir einen positiven Zusammenhang zwischen dem Wühlen der Wildschweine und dem Vorkommen von naturschutzrelevanten Tierarten auf Magerrasen nachweisen konnten, bewerten wir das Wühlen auch nicht als Wildschaden, sondern bezeichnen Wildschweine als positive Ökosystemingenieure“, sagt Valentin Cabon. 

Dem ist aus Sicht des ganzheitlichen Naturschutzes nichts hinzuzufügen.

In jüngster Zeit schält sich ein unter dem Gesichtspunkt der Ganzheitlichkeit besonders deprimierender Interessenkonflikt heraus:

7) Arten im Visier der Windkraftindustrie

Im Rahmen der Invasion der Windkraftindustrie in die Vorzugslandschaften und naturnahe Großlandschaften, auch und speziell als Folge der Konfliktkonvergenz im Sinne der Beanspruchung gerade der noch wenig vom Menschen „kultivierten“ Flächen (Stichwort: Hemerobie, siehe unter „Naturschutz und Windkraft“), ist ein ganzer Strauß von Arten nun zu Arten im Interessenkonflikt hinzuzurechnen. So sind sowohl Fledermäuse als auch insbesondere betroffene Vögel im Zentrum eines finalen Konfliktes gelandet…Die Energiewende bedeutet eine neue Frontstellung.

Foto: Archiv Naturschutzinitiative e.V.

Für die durch die Windkraftanlagen gefährdeten Vogelarten werden seit Jahren die Abstandsempfehlungen der Vogelschutzwarten* für Windkraftanlagen zu Bruthabitaten von der Windlobby verbissen bekämpft und immer wieder in Frage gestellt (eine argumentative Erwiderung im Rahmen der Auseinandersetzung finden Sie ausführlich in Epple 2021, Denkschrift, S. 191 ff.; zu den Folgen s.u.). Speziell bekannte Vogelarten, die der Windkraft im Wege sind, werden intern verachtend als „Verhinderungsgeflügel“ (!) tituliert. Die fatalen Folgen einer populistisch vergifteten Debatte** bleiben nicht aus. Ich zitiere aus meinem Buch zum Konflikt (siehe unter Publikationen: Epple 2021, fette Hervorhebung der betroffenen Arten durch WE):

„(…)Eine besonders fatale Folge der lärmenden Äußerungen rund um die Abstandsempfehlungen zeigt die ganze Härte und Perfidie des Konfliktes: Vogelmord und Zerstörung von Brutstätten, um den Weg frei zu machen für Windkraft. Vielerorts haben die Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten zu besonders aggressiven Reaktionen von Windkraftbefürwortern nicht nur auf dem Papier, sondern direkt in der Natur geführt. Unliebsame Vogelarten, die der Windkraft angesichts der empfohlenen Abstände „im Wege stehen“, sind direkter Verfolgung durch Vergiftung, Abschuss oder Zerstörung ihrer Brutstätten ausgesetzt. Es gibt inzwischen unzählige dokumentierte Vorfälle von Horst-Zerstörungen oder direkter Tötung bei Schwarzstorch (ein besonders krasser Fall ist hier dokumentiert: http://www.umwelt-watchblog. de/vogelmord-fuer-oekostrom/), Schreiadler (Krumenacker et al. 2016) und Rotmilan (Neumann 2015). Selbst wenn es an einer statistisch belastbaren landesweiten Sammlung oder Übersicht zu solchen ehrlosen Vorkommnissen (noch) fehlt, sind die sich häufenden Übergriffe gegen Großvögel und ihre Horste im Umfeld der Windkraftindustrie-Planungen Zeichen der Militanz und argumentativer Schwäche. Und sie sind Zeichen zunehmender Verrohung. Als ob es nicht genügen würde, mit Hilfe politischer Agitation, medialer Hetze und mit einem Sperrverhau rechtlich fragwürdiger „Begleitgesetzgebung“ und Gefälligkeitsgutachten in ganz Deutschland den Naturschutz zu Gunsten der Windkraftindustrie von allen Seiten her auszuhebeln, werden mit solchen Fällen roher Gewalt zusätzliche „Fakten“ geschaffen.(…)

*LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT DER VOGELSCHUTZWARTEN (LAG VSW) (2016): Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten LAG VSW. (Beitrag der LAG VSW zu den Abstandsempfehlungen innerhalb der Sonderausgebe der Zeitschrift „Natur und Landschaft”, “Naturschutzarbeit in Deutschland Arbeitsschwerpunkte und Aktivitäten aus dem Jahr 2015 der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Institutionen”). Natur und Landschaft 91. Jahrg, (2016), Sonderausgabe: Seite 32.

**„Es kann ja nicht sein, dass die Milan-Population über den Klimawandel entscheidet.“ (Winfried Kretschmann, GRÜNER Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg während des Wahlkampfes am 10.03.2021 in einem Artikel der Lokalzeitung „Schwarzwälder Bote“)

Der Rotmilan ist Symbol des finalen Konfliktes zwischen dem Naturschutz und der Windkraft geworden. Er ist neben anderen Großvogelarten individuell vom Tod an Windturbinen und der Entwertung seiner Lebensräume durch Windkraftindustrie hart betroffen. An diesem Befund ändern auch reißerische Darstellungen mit der fachlich verkürzten Behauptung des Gegenteils nichts, selbst dann, wenn sie fahrlässig von öffentlich-rechtlichen Medien verbreitet werden. Foto: Heinz Sternke

Geduld, der Beitrag ist im Entstehen…